Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
ausgewählt hat und die keiner vermissen wird. Es ist vielleicht eine Touristin, die sie im Ort sieht, und die etwa die gleiche Körpergröße wie sie selbst hat. Sie bringt sie auf die Alm, legt sie unter den Baum, schüttet ihr eine Tüte Silphen ins Gesicht.«
»Wo hat sie die her?«, fragte Stengele. »Die gibts doch nicht im Zoogeschäft.«
»Ich bin mir sicher«, sagte Jennerwein mit liebevollem Spott, »dass das das geringste Problem für eine Berufskillerin ist. Sie lässt also die Tatwaffe verschwinden, sie verhält sich auch sonst absolut professionell. Die Seminarteilnehmer müssen denken, dass der Täter in den eigenen Reihen zu finden ist. Sie verbreiten die Nachricht in der Szene. Es ist eine internationale Truppe, und die Nachricht geht vermutlich gerade um den ganzen Globus.«
»Ich glaube nicht, dass die Tote eine Touristin aus dem Dorf war«, sagte Stengele. »Eher eine Osteuropäerin ohne Aufenthaltsgenehmigung. Oder eine Schwarzarbeiterin. Oder eine der vielen nicht angemeldeten Personen, die es haufenweise gibt. Und über die kaum Statistiken geführt werden. Da gibt es viele Möglichkeiten.«
»Auch ich«, sagte die Gerichtsmedizinerin nachdenklich, »habe einige Anhaltspunkte für die Theorie Die Tote kann keine Killerin sein gefunden, aber ich muss zugeben, dass ich sie als unwichtig eingestuft habe. Die Hände der Toten wiesen Druckspuren von insgesamt fünf Ringen auf. Trägt eine Berufsverbrecherin so viele Ringe? Sie muss sich doch am Tatort wahrscheinlich schnell Gummihandschuhe überstreifen. Auch die Hände waren sehr gepflegt, mit langen, lackierten Fingernägeln. Es ist unwahrscheinlich, dass jemand mit solch gepflegten Krallen solch einen schmutzigen Beruf ausgeübt hat.«
»Maria, ich muss zugeben, Sie hatten recht mit der Handtasche«, sagte Nicole. »Es war eine Inszenierung. Aber ich wollte eben eine einfache Erklärung.«
Hölleisen runzelte die Stirn.
»Der Tunesier ist also nicht unser Mann?«
»Richtig«, antwortete Jennerwein. »Daran hatte ich ohnehin meine Zweifel. Spätestens seit dem Angriff auf mich in Ganshagels Küche. Der Täter war wendig und klein. Ich habe zwar sehr wenig gesehen, aber der Gesamteindruck passt besser zu einer mittelgroßen Frau als zu einem mittelgroßen Mann.«
»Ostler und ich haben den Tunesier ja gesehen«, fügte Nicole hinzu. »Und zwar näher, als uns lieb war. Er stellt eine relativ markante Erscheinung dar, schon von der Hautfarbe her. Für ihn wäre es äußerst riskant gewesen, sich am helllichten Tag nochmals im Ort blicken zu lassen und in Ganshagels Haus einzusteigen. Unter diesen neuen Voraussetzungen wird klar, dass Chokri Gammoudi nur ein Interesse hatte, nämlich von hier wegzukommen. Für eine unauffällige Frau wäre diese Aktion leichter zu bewerkstelligen. Sie kann sich schminken, sie kann sich eine Perücke aufsetzen. Ich hatte mal Bereitschaftsdienst, als Madonna in der Stadthalle Recklinghausen ein Konzert gab. Wir mussten sie nach dem Konzert zum Italiener begleiten. Ich hätte sie fast nicht erkannt: Gerade eben auf der Bühne noch eine Granate, als Frau Ciccone eine total unscheinbare Erscheinung.«
»Wir machen jetzt Folgendes«, sagte Jennerwein. »Wir führen unsere geplante Aktion fort. Wir locken den Täter mit Michls angeblichen Bildern an. Statt auf den Tunesier müssen wir uns auf eine Frau konzentrieren. Aber Vorsicht – sie ist hochgefährlich. Sie hat Ganshagel umgebracht, weil er offensichtlich etwas gesehen hat. Wir versuchen, dieser Frau eine Falle zu stellen. Wir lassen sie in dem Glauben, dass ihre Identität noch nicht aufgeflogen ist.« Jennerwein ballte die Faust und schlug damit in die Luft. »Das war ja gerade das Perfide an ihrem Plan! Sie hat uns dazu benützt, die Nachricht von ihrem Tod zu verbreiten. Eine echte Unverschämtheit! Nun gut, lassen wir sie in dem Glauben. Jetzt drehen wir den Spieß um. Wir lassen sie wissen, dass die Identität der Leiche zweifelsfrei feststeht. Das wäre ein Job für Sie, Becker: Konstruieren Sie eine analytische Technik in der forensischen Genetik, bei der man von kleinen Gesichtsknöchelchen auf die Form des Gesichts schließen kann.«
»Das brauchen wir nicht zu erfinden, so was gibt es schon«, sagte Becker. »Genetische Marker in der DNA der Knochenzellen. Damit kann man zum Beispiel die Augenfarbe bestimmen. Oder die Gesichtsform.«
»Hervorragend. Da nützt es ihr gar nichts, dass sie es geschafft hat, ihre DNA nirgends zu hinterlassen.
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