Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
Entwerfen Sie einen entsprechenden Pressetext. Schreiben Sie, dass wir bisher noch kleine Zweifel gehabt hätten, dass wir aber jetzt mit diesem DNA-Zeug wissen, dass die tote Frau die Äbtissin ist.«
»Wird gemacht Chef.«
»Nicole, Sie kommunzieren das nach außen. Es kann ruhig ein wenig unbeholfen klingen. Deuten Sie an, dass wir in dem Fall nicht weiterkommen. Dass wir ihn, wenn es so weitergeht, vielleicht bald zu den Akten legen müssen.«
»O.k., Chef.«
»Es versteht sich von selbst, dass wir keinem diese neuen Informationen geben, auch nicht dem Chef und nicht der Staatsanwältin. Natürlich auch dem Michl nicht.«
»Und die Aktion Lockvogel?«
»Wird weitergeführt wie geplant. Ostler bleibt bei Michl Wolzmüller. Er passt auf ihn auf. Ich spiele den Lockvogel und schlüpfe in Michls Rolle. Wir bewegen uns dabei nicht im Ort, das wäre zu riskant und auch zu auffällig. Stengele, arbeiten Sie einen Plan aus, wo sich der Michl tatsächlich immer herumschleicht, am Rand des Kurorts und auf den umliegenden Bergen. Ostler soll ihn dazu befragen. Konzentrieren Sie sich auf Plätze, wo er gut angreifbar wäre. Dort positionieren wir uns.«
»Geht klar, Chef.«
»Maria, Nicole und Hölleisen, Sie besorgen sich Touristenklamotten. Wander-Outfit. Sie werden dem falschen Michl unauffällig folgen.«
Ein Piepsen ertönte, Jennerwein klappte sein Mobiltelefon auf.
»Eine SMS von Ostler. Er hat dem Wolzmüller Michl das Passfoto gezeigt. Und der behauptet steif und fest, die Frau gestern im Kurort gesehen zu haben. Lebend. Na also. Auf gehts.«
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Aus dem Wörterbuch der Comicsprache:
Krckkrck-kackatsch-Krckck-kackatsch-Krckck …
(Eine außerirdische Kampfmaschine mit zwei verschieden langen Beinen latscht durch den Wald und zermantscht das Unterholz)
Becker und Nicole hatten ganze Arbeit geleistet. In vielen Onlineausgaben großer Zeitungen, aber auch in der Loisachtaler Allgemeinen stand, dass die Polizei die allerneuesten forensischen Analysemethoden angewandt hatte, und das mit großem Erfolg, denn man hätte jetzt hundertprozentige Gewissheit, dass es sich bei der toten Frau um die international gesuchte Berufskillerin handelte. Man hatte die Äbtissin identifiziert. Tausendprozentig. Von ›genetischen Markern in der DNA der Knochenzellen‹ war da die Rede, von Knochensplitterchen und vertrockneten Blutspritzerchen, mit denen man den gesamten Menschen bis hin zur Katzenhaarallergie und Laktoseintoleranz rekonstruieren konnte.
Auf der großen Liegewiese des traditionsreichen Naturfreibads herrschte noch reges Gewimmel an diesem goldenen Spätnachmittag, viele Handys, Tablets und Notebooks waren aufgeklappt, und überall im weiten Areal des Kainzenbades las man von den Ruhmestaten der Genetiker und der Unfähigkeit der Polizei, die ohne ihre gerichtsmedizinischen Helfer aufgeschmissen wäre. Auch eine unscheinbare Frau, die ihr Badetuch am Rand der Liegewiese ausgebreitet hatte, betrachtete interessiert die neuen Nachrichten.
Es wirkt wenig chevaleresk, eine Frau als unscheinbar zu bezeichnen, aber diese war es wirklich. Zu allem Überfluss trug sie auch noch einen äußerst unvorteilhaften Badeanzug, die Haare hatte sie so streng nach hinten gekämmt, dass ihre großen blassen Segelohren weit abstanden, die Brille stammte wohl aus dem Kaugummiautomaten. Sie lag auf dem Bauch, die käseweißen Beine zeigten schon einige rote Sonnenflecken, doch sie bemerkte es nicht. Sie starrte regungslos auf das Display. Viele der Badegäste um sie herum erschauderten über das, was sie in den Nachrichten lasen, Details über das zerfressene Gesicht der Frau unter der Zirbe zum Beispiel. Die käsebeinige Unscheinbare las die Nachrichten und lächelte. Eine Woge heißer Genugtuung und eitlen Stolzes überflutete sie. Dazu hatte sie auch allen Grund. Sie war die Äbtissin.
Strenggenommen war die Frau in dem verschlissenen einteiligen Badeanzug eben nicht mehr die Äbtissin. Sie war die Äbtissin gewesen. Die legendäre Äbtissin war mausetot, ausradiert und nach Mafia-Art unkenntlich gemacht von einem russischen oder französischen Konkurrenten, der mit großer Wahrscheinlichkeit längst über alle Berge war. Weil diese Äbtissin so mausetot war, schien es auch laut der Loisachtaler Allgemeinen wenig öffentliches Interesse zu geben, wegen einer internen Auseinandersetzung des organisierten Verbrechens zu ermitteln. Ein Polizeisprecher hatte das gesagt. Die Polizei würde ihre Arbeit bald einstellen.
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