Unterm Messer
eine Art Uniform.“
Wir stehen im Labor. Ich sehe mich interessiert um. Schon Grünwalds Geheimräume sind mir gestern Nacht im spärlichen Schein von Vesnas Taschenlampe ganz anders vorgekommen als herkömmliche Forschungssäle mit Bunsenbrennern und Eprouvetten. Dieses Labor hier wirkt noch viel futuristischer. Strahlendes Weiß, an beiden Wänden eine Reihe von Schreibtischen mit Computern, daneben seltsame Kästen. Die habe ich gestern auch schon gesehen. An einem Platz ein junger Asiate, er steht und sieht in ein überdimensionales Mikroskop, wirkt irgendwie wie ein Fernrohr, nur dass es nicht auf die Sterne, sondern auf eine Schale aus Metall gerichtet ist. Vier weitere Menschen sind im Raum, nur eine Frau mit blonden Haaren dreht sich kurz nach uns um.
„Im Kellerlabor von Grünwald sieht es ähnlich aus“, flüstere ich. „Kann es sein, dass es auch dort um Genforschung geht?“
Natalie Veith deutet, dass ich ihr folgen soll. Ihr Schreibtisch scheint der ganz am Ende des Saales zu sein. Unter einer anderen Art von Fernrohr steht eine Schale mit geleeartiger brauner Substanz. Dr. Veith sieht durch das Rohr, ruft auf dem Computer eine Seite auf, gibt ein paar Daten ein. „Labors sehen heute fast immer so aus“, sagt sie dann. „Wollen Sie einmal durchschauen?“ Sie macht mir den Platz vor dem Fernglas frei. Ich wollte schon immer Gelee in Vergrößerung betrachten. Ich sehe durch und bin verblüfft. Da bewegen sich seltsame wurmartige, aber durchaus hübsche Wesen, sie scheinen Punkte und Beistriche mit Fransen in sich aufzunehmen. Zwei von ihnen leuchten auch noch irgendwie eigenartig.
„C. elegans, ein Nematode, zu Deutsch Fadenwurm. Er ist eines unserer Lieblingsversuchstiere. Das Gelee dient als Nährboden für Bakterien, Nahrung für unsere Würmer.“
„Die Würmer leuchten oder täusche ich mich?“
„Wir verändern Wurmlinien genetisch, die bilden dann in bestimmten Organen oder Zellen fluoreszierende Proteine. So können wir ihre Reaktionen besser beobachten. Ich hab jetzt Blaulicht im Mikroskop, deswegen das hellgrüne Leuchten. Bei grünem Licht leuchten die Proteine strahlend rot. Der C. elegans hat üblicherweise eine zweiwöchige Lebensdauer. Wir haben es geschafft, dass unsere Würmer viermal so lang leben.“
„Genmanipulation?“, frage ich, als ob ich mich damit auskennen würde.
„Dahingehend wird auch geforscht. Aber bei uns geht es mehr um Genstimulation.“
„Haben Sie das auch bei Grünwald gemacht? - Aber warum geheim? Ist das nicht legal?“
„Natürlich ist das legal. Doch wenn man hofft, damit sehr viel Geld zu verdienen, dann macht man es lieber so versteckt wie möglich, vor allem wenn man keinen milliardenschweren Pharmakonzern hinter sich hat.“
„Kann es sein, dass die Nonne hinter diese Forschungen gekommen ist und deshalb sterben musste?“ Es hört sich melodramatisch an und scheint so gar nicht in diese weiße Forschungswelt zu passen.
„Ich weiß nicht, wo Grünwalds Labor mit seinen Ergebnissen steht. An Methoden zur Lebensverlängerung forschen sehr viele, verständlicherweise. Er soll einige sehr gute Wissenschaftler eingekauft haben“, flüstert die Genetikerin. „Schwester Cordula war Biologin, soweit ich mich erinnere.“
„Sie glauben, dass sie mitgearbeitet hat?“
„Ich habe seit fünf Jahren keinen Kontakt mehr zu dem Labor. Ich weiß es nicht.“ Die Wissenschaftlerin zieht sich Handschuhe über und öffnet die Tür eines seltsamen kleinen Kastens auf ihrem Schreibtisch, sie nimmt eine weitere Schale heraus. „Petrischale“, erklärt sie. „Kennen Sie sicher noch vom Schulunterricht.“
Leider, so spannend und praktisch orientiert war unser Unterricht nicht. Auch keinerlei kleine leuchtende Würmer mit hübschen Namen.
„Da drin sind Bakterien, die wir mit Substanzen quasi genetisch aufbereitet haben. Wir forschen zurzeit vor allem an Resveratrol und damit vergleichbaren Stoffen. Sie haben sicher davon gehört. Das ist der Stoff im Rotwein, der das ,French Paradoxon' auslöst: Obwohl die Franzosen sehr viel und auch fett essen, ist ihre Rate an Herz-Kreislauf-Erkrankungen relativ niedrig — und das steigert natürlich ihre mittlere Lebenserwartung. Es hat damit zu tun, dass sie gerne Rotwein trinken. Und der enthält Resveratrol. Dieses Resveratrol hängt sich sozusagen an bestimmte Proteine, die Sirtuine genannt werden, und kann dadurch ihre Aktivität verändern. Sirtuine entfernen normalerweise Essigsäurereste, also
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