Unterm Messer
Azetylgruppen, von unterschiedlichen Proteinen. Ganz wichtig sind in diesem Zusammenhang die Histone, sie binden an das Erbgut, und je nachdem, wie Abschnitte der DNA mit viel oder wenig azetylierten Histonen dekoriert sind, werden sie verwendet oder sind stillgelegt. Kurz: Dadurch kann man die entsprechenden Gene ein- oder ausschalten. Man kann ganze Genprogramme gestalten. Auch so komplexe Programme, wie sie für die Ernährung oder die Fortpflanzung notwendig sind, werden auf die Art gesteuert, aber auch Krebs und das Altern.“ Ich versuche angestrengt, dem zu folgen, was mir die Wissenschaftlerin da erzählt, und es in meine Sprache zu übersetzen. Alles hab ich nicht kapiert, eines aber wohl doch: „Über dieses Resveratrol lassen sich tatsächlich Genprogramme steuern? Und die haben dann Einfluss auf den Alterungsprozess?“
„So einfach ist das nicht. Aber jedenfalls kann durch die Bindung des Resveratrols an Sirtuine die Zellalterung entschleunigt werden. Es täuscht dem Körper eine Kalorienrestriktion vor, die Zellen nehmen dann gewissermaßen alle Kraft zusammen, um zu überleben, alle körperlichen Ressourcen werden sehr effizient eingesetzt. Darüber hinaus wird ständig altes Biomaterial abgebaut und sofort rezykliert, sodass die Biomasse jung bleibt — dadurch sind die Zellen strukturell verjüngt und funktionieren auch besser. Im Hirn kommt die Kalorienreduktion übrigens so an, dass der Trieb, Futtersuche zu betreiben, maximal angeregt wird. In Tierversuchen sehen wir, dass gerade die ausgehungertsten Tierchen wie die Wilden herumflitzen, sie entwickeln eine erstaunliche Energie.“
Natalie Veith stellt ihre Schale neben die mit den spannenden Würmern unter das große Mikroskop, öffnet eine Lade, nimmt aus einer kleinen Schachtel ein dünnes Metallteil und gibt vorsichtig etwas von der einen in die andere Schale. „Ich siedle unsere Würmer um, isoliere einige“, murmelt sie. Ich sehe konzentriert hin. Den C. elegans kann ich mit freiem Auge nicht entdecken, aber das Plättchen, das kenne ich: Es sieht exakt gleich aus wie jenes, das ich seit vorgestern in der Handtasche habe.
„Wo haben Sie eigentlich Urlaub gemacht?“, frage ich dann.
[ 6. ]
Ich sitze am Besprechungstisch unseres Chefredakteurs. Leider sind wir nicht allein. Da ist auch der Anzeigenleiter. Und der Geschäftsführer des ,Magazin‘. Die beiden sind hereingekommen, noch bevor ich mit Klaus über die „Beauty-Oasis“-Reportage beratschlagen konnte. Irgendjemand hat ihnen von unserem Termin erzählt. Klaus war es sicher nicht. Vielleicht die neue Sekretärin. Sieht ohnehin aus wie eine Spionin. Immer dieser knallenge Rock und die gefährlichen Fingernägel. - Moment mal, Mira. Sie hat eine Topfigur und ist Mitte zwanzig. - Aber sie ist eine schreckliche, sich bei den Männern anbiedernde Tratsche. Die gibt es in jedem Lebensalter.
Ich versuche noch einmal zusammenzufassen: „Über die Sache mit der toten Nonne in der ,Beauty Oasis‘ haben natürlich alle berichtet. Das ,Blatt' hat sogar fantasiert, dass sie die Geliebte von Grünwald gewesen sei. Oder Teil eines Callgirlringes. Aber ich habe mehr. Ich kann beschreiben, wie sie ausgesehen hat, als wir sie in der Sauna gefunden haben. Ich habe ein Interview mit der Leiterin des Hildegard-Klosters. Ich weiß, dass die Tote Biologin war und immer wieder im Labor der Schönheitsklinik gearbeitet hat. Ich kann zumindest vermuten, dass im Labor nicht nur über die Zusammensetzung irgendwelcher Cremes geforscht wird, sondern dass es dort auch um genetische Methoden zur Lebensverlängerung geht. Mit gewissen Substanzen lassen sich ganze Genabschnitte ruhigstellen oder aktivieren. Und so könnten auch Programme gegen die Zellalterung gesteuert werden. Wenn das keine Aufmacherstory ist... “
„Woher haben Sie denn das?“, sagt der Geschäftsführer und er wirkt, als ob er eigentlich „den Blödsinn“ hätte sagen wollen.
„An so etwas wird momentan geforscht“, beharre ich. „Und wenn Grünwald ...“
Der Anzeigenleiter schüttelt den Kopf. „Sind wir jetzt eine Wissenschaftszeitung oder was?“
„Aber für Beauty interessieren wir uns im Allgemeinen. Und für Lifestyle. Und für spannende Mordfälle. In Grünwalds ,Oasis‘ haben wir alles...“
„Nichts, was nicht schon die Tagesmedien vor uns gehabt hätten. Das ist keine Aufmacherstory. Und nur falls Ihnen das in den Sinn kommt: Es hat nichts damit zu tun, dass Professor Grünwald bei uns bisweilen Anzeigen
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