Unterm Messer

verteilt Werbeprospekte der ,Beauty Oasis‘ . Kommt mir momentan eher fehl am Platz vor. Auf die Fragen meiner Kollegen, was denn los sei, ob es etwa gar schon einen Täter gebe, sagt er immer wieder: „Sie müssen sich gedulden. Ich bitte Sie, sich noch einen Augenblick zu gedulden.“
    Um Punkt zwölf erscheint Professor Grünwald, er wird von einem mittelgroßen hageren Mann mit Brille begleitet, er dürfte gegen sechzig sein. Ich kenne ihn nicht.
    „Waltensdorfer“, raunt ein Journalist neben mir seinem Fotografen zu. Blitzlichter, die Kameras filmen. Grünwald bittet alle, sich zu setzen. Er selbst und der Typ neben ihm nehmen an der Schmalseite des langen Tisches Platz. Waltensdorfer. Noch nie gehört. Wo ist Chefinspektor Knobloch?
    „Sehr geehrte Medienvertreter“, beginnt Grünwald feierlich. „Ich danke Ihnen für Ihr zahlreiches Erscheinen. Ich habe versprochen, Sie über den Fortgang der Ermittlungen zu jenem schlimmen Todesfall auf dem Laufenden zu halten, und komme dem damit ... “ Er versucht, ganz ruhig zu sprechen, aber ich sehe, er hat Schweißtropfen auf der Stirn. So etwas kommt gar nicht gut im Fernsehen, Herr Schönheitschirurg.
    „... freut es mich, dass Dr. Waltensdorfer, der Leiter der steirischen Landespolizeidirektion, Sie informieren wird.“
    Sieh an, der Boss von Knobloch also. Waltensdorfer räuspert sich, fingert dann ein Blatt Papier aus seiner Anzugtasche. „Obwohl die Ermittlungen noch im Laufen sind, kann ich Ihnen einiges berichten.“ Ab da liest er vom Blatt: „Schwester Cordula von den Hildegard-Schwestern wurde im Nahebereich der Sauna durch ein gängiges und leicht verfügbares Betäubungsmittel sediert, danach entkleidet und in die Sauna gebracht. In der Folge hat der Täter die Sauna mit einem massiven Holzbalken vernagelt und die Sauna auf neunzig Grad erhitzt. Der Todeszeitpunkt lässt sich aufgrund der besonderen Umstände der Tat nicht mehr genau nachweisen, dies scheint vom Täter auch beabsichtigt gewesen zu sein. Dennoch ist davon auszugehen, dass das Opfer rund drei Tage in der Saunakammer eingesperrt war, bevor das von zwei Personen der örtlichen Polizeidienststelle gemeldet wurde. Erste Erhebungen ergaben, dass Schwester Cordula vorhatte, die Klostergemeinschaft zu verlassen. Zeugen und Tatsachenfeststellungen führten zu der Annahme, dass Schwester Cordula überdies eine sexuelle Beziehung zu einem in diesem Haus beschäftigten Mann unterhielt.“
    Flüstern unter den Journalisten, neuerlich Blitzlichtgewitter. Als ob man ablichten könnte, was der steirische Oberpolizist gerade gesagt hat. Das erinnert mich allerdings an etwas. Ich hole meine Kamera aus der großen Tasche, ein paar Bilder sollte ich schon machen. Auch wenn ich davon ausgehe, dass irgendeiner der Fotografen von der Austria Presseagentur ist.
    „Gestern Abend ergab sich eine neue, dramatische Entwicklung des Falles. An einem uns bekannten Ort in derselben Gegend wurde eine weitere Person von zwei Jägern tot aufgefunden. Es handelt sich dabei um den neununddreißigjährigen Dr. Peter Schilling, er war Mitarbeiter der ,Beauty Oasis' und im Labor beschäftigt.“
    Kein Wort davon, dass er offenbar Forschungschef der „Grünwald-Group“ war. Wäre für den Schönheitschirurgen wohl ein Stück unangenehmer. Die Journalisten starren den Polizeichef an. Offenbar hat sich das mit der zweiten Leiche noch nicht herumgesprochen.
    „Er wurde mit einem Küchenmesser erstochen, das aus der Großproduktion eines Lebensmitteldiskonters stammen dürfte. Der Stich traf direkt ins Herz. Sein Körper wies deutliche Spuren eines Ritualmordes auf. Der Täter hat ihm mit einem Messer ein Kreuzzeichen in die Stirn geritzt. Dank sofortiger weiterer Ermittlungen ist bereits jetzt klar, dass auch das zweite Opfer vor dem tödlichen Angriff betäubt oder zumindest sediert wurde. Außerdem haben wir Grund zu der Annahme, dass das Opfer der Liebhaber der zuvor getöteten Nonne war. Die Nachforschungen sind noch nicht zur Gänze abgeschlossen. Was sich aber bereits jetzt schon sagen lässt, ist, dass es sich in den beiden Fällen um denselben Täter handeln dürfte und dass das Motiv in einer religiösen Überreaktion bestanden haben könnte. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.“
    Selbst die letzten beiden Sätze hat Waltensdorfer vom Blatt abgelesen. Meine Kollegen bestürmen ihn und Grünwald mit Fragen: Ob man den Täter schon kenne. Ob er schon festgenommen worden sei. Wo der zweite Mord genau