Unterm Messer
„Haben die sich operieren lassen?“
„Ich organisiere die Pflege und leiste Beistand, wenn nach mir gefragt wird, aber ich pflege keine Akutfälle. Aufgefallen ist mir allerdings nie, dass sie unter das Skalpell gekommen wären. Ich denke eher, dass sie wirklich mit Grünwald Geschäfte machen. Ich weiß nicht, wie ich darauf komme ... Wir hatten auch schon Chinesen da und andere Asiaten. Unser Professor scheint für seine Nasen und Wangen international berühmt zu sein. Aus irgendeinem Grund wollen viele Asiaten und Südamerikaner europäische Gesichtszüge.“ „Sie meinen, es handelt sich also um legale Geschäfte?“
Die Nonne wiegt den Kopf. „Reden wir jetzt vom Gesetz oder von moralischer Legalität?“
Ich zucke mit den Schultern.
„Ich habe die beiden jedenfalls immer unsympathisch gefunden“, fügt die Nonne an.
Ich habe eine Idee: „Hatte Schwester Cordula mit ihnen Kontakt?“
Meine Gesprächspartnerin denkt lange nach. „Da war etwas. Aber ich kann mich nicht erinnern. Ich glaube, es hatte mit dem Labor zu tun. Sie ist irgendwann ganz empört gekommen und hat so etwas gesagt wie, dass sie jetzt wisse, wer dahinterstecke.“
„Wohinter?“
„Es war immer mehr unter Verschluss, hat sie erzählt. Sie hatte das Gefühl, es gehe um Forschungsergebnisse, zu denen nur wenige Zugang haben sollten. Worum es sich dabei gehandelt hat, hat sie nicht gewusst. Auch da habe ich gehofft, dass Ihnen Dr. Veith mehr sagen kann.“
„Wann hat Schwester Cordula gesagt, dass sie weiß, wer ,dahintersteckt'?“
„Es ist nicht lange her, genauer kann ich es nicht ...“
„Der Leiter des Labors war Dr. Schilling.“
„Und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Schwester Cordula ein Verhältnis mit diesem Dr. Schilling gehabt hat!“ Die Stimme der Klosterfrau klingt fest, beinahe empört. Sie kann es sich nicht vorstellen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf? „Schilling war ein Karrierist. Der hätte beinahe alles getan, um an mehr Macht und mehr Wissen und mehr Geld und mehr Anerkennung zu kommen. Schwester Cordula war das genaue Gegenteil. Sie war eine Idealistin. Ich glaube, sie hat sogar zu sehr nach dem Edlen und Schönen gestrebt oder nach dem, was sie dafür gehalten hat.“
„Zu sehr? Kann es das geben?“
„Und ob. Wir leben in dieser Welt. Wenn wir mit unseren Idealen und Ideen abheben, dann können wir eine Menge Unheil stiften.
„Sie hat das getan?“
Schwester Gabriela sieht mich erschrocken an. „Nein, das wollte ich damit nicht sagen. Aber irgendwie glaube ich, dass sie die Schwärmerei für das Ideale das Leben gekostet hat.“
„Schwärmerei? Wie unterscheidet sich die von dem, was Sie Glauben nennen?“
Die Nonne blickt aus dem Fenster, denkt nach. „Vielleicht gibt es keinen Unterschied.“
„Sie glauben nicht mehr an Gott?“, frage ich mit belegter Stimme.
„Wir glauben mit ihm zu leben. Aber manchmal scheint das, was uns immer nah ist, besonders weit fort. Damit tröste ich mich bisweilen.“
„Und das ewige Leben?“
Schwester Gabriela lächelt. „Ich glaube daran, dass das Leben unendlich ist. Ein Augenblick ist nicht messbar und die Zahl der Augenblicke ist es auch nicht — was wäre eine bessere Annäherung an die Unendlichkeit?“
[ 9. ]
Ich stehe in einem Konferenzraum der ,Beauty Oasis‘ und bin gespannt, was da in Kürze passieren soll. Karl Simatschek hat mir eine SMS geschickt, knapp bevor ich Richtung Autobahn abzweigen wollte. „Pressekonferenz 12 Uhr Beauty Oasis. - High Noon???“ Bevor ich von der alten Nonne weg bin, habe ich sie noch gefragt, warum sie Knobloch nicht in Untersuchungshaft genommen habe. Sie hat gelächelt und gemeint, sie habe ihn wohl davon überzeugen können, dass sie nirgendwohin fliehen werde. Kann sie tatsächlich mit den beiden Morden zu tun haben? Wie sie so dagelegen ist, lang ausgestreckt am Boden unter dem Kreuz, wie hingegeben ... Ich dachte, sie sei das nächste Opfer geworden. — Und was, wenn sie sich selbst als Opfer dargebracht hat und geglaubt hat töten zu müssen? Doch als Gottes Werkzeug der Rache kann ich sie mir einfach nicht vorstellen. Als Vollstreckerin irgendwelcher Regeln und Prinzipien noch weniger. Und was, wenn sie getötet hat, um noch Schlimmeres zu verhindern? Was weiß sie? Was ahnt sie?
Zwei Kamerateams, fünf Fotografen, ein Dutzend Journalisten sind mit mir im Raum. Die meisten dürften für Lokalblätter schreiben. Ein hektischer junger Mann eilt herum und
Weitere Kostenlose Bücher