Unterm Messer
in der Lage gewesen?“
„Du suchst nach Beweisen für ihre Unschuld. Verstehe ich irgendwie. Aber: Schilling dürfte schon am Boden gelegen sein. Und Anatomie ist für die Nonne alles andere als ein Problem. Sie hat Medizin studiert.“
„Wie bitte?“
Ich kann es nicht fassen. Warum hat Schwester Gabriela nichts davon gesagt? Als Medizinerin hatte sie für das, worüber da möglicherweise im Labor geforscht worden ist, wohl ein viel besseres Verständnis, als wir annehmen konnten.
„Sie ist ausgebildete Ärztin, hat allerdings nie praktiziert und ist nach Ende ihres Studiums ins Kloster gegangen“, ergänzt der Gerichtsmediziner.
Beinahe wäre ich auf einen weißen Ford aufgefahren. Ich lasse das Telefon fallen, bremse abrupt. Der Fahrer hinter mir hupt wild. Sorry, sorry, sorry. Schwester Gabriela hat also Medizin studiert. Schwester Cordula war Biologin. Ich fahre langsamer, werde überholt, die Frau auf dem Beifahrersitz macht wütende Gesten. Es läutet. Mein Handy. Irgendwo auf dem Boden. Ich sollte während des Fahrens nicht danach suchen. Jetzt schon gar nicht. Es hört nicht auf zu läuten. Klar, der Gerichtsmediziner wird was weiß ich vermuten. Es ist mir nichts geschehen. Warum funktioniert Telepathie so schlecht? Der Klingelton verstummt. Ich atme auf. Das Klingeln setzt wieder ein. Ich werde noch verrückt. Was hat Schwester Gabriela gesagt? Vielleicht glaube sie nicht ausreichend an die weltliche Gerechtigkeit. Tue ich das? Da kommt ein Parkplatz. Endlich. Ich versuche mich zu konzentrieren. Blinke, biege ab, halte hinter einem Lkw. Steige aus. Meine Knie zittern. Das Telefon liegt unter dem Beifahrersitz.
„Was ist passiert?“, ruft der Gerichtsmediziner alarmiert.
„Gar nichts ist passiert, zum Glück. Ich musste bremsen. Mir ist das Telefon hinuntergefallen. Danke. Ich melde mich wieder.“ Nichts passiert. Kann man eigentlich so nicht sagen.
Ich widerstehe der Versuchung, die Nonne anzurufen. Erstens ist es gut möglich, dass ihr Telefon überwacht wird, und zweitens habe ich keine Lust, mir zu überlegen, was von dem stimmt, was sie mir erzählen würde. Soll ich überhaupt noch zu Natalie Veith? Schwester Gabriela wollte, dass ich mit ihr rede. Deshalb der erfundene Zettel mit Namen und Telefonnummer. Sie hat gehofft, dass die Genetikerin mit uns zusammenarbeitet und dass wir so der Wahrheit näher kommen. Hat die Nonne zumindest gesagt. Ich werde es noch einmal probieren. Wie immer dann diese Wahrheit auch aussehen mag.
Freitagnachmittagsverkehr auf der Wiener Südosttangente. Jedes Mal eine Nervenprobe, aber heute ganz besonders. Ich erlaube mir ein weiteres Telefonat. Klar weiß ich, dass ich nur mit einer Freisprecheinrichtung telefonieren darf, ich habe auch eine. Aber ich bin mir sicher, dass mich die miese Tonqualität mehr ablenkt, als wenn ich das Telefon ans Ohr halte. Ich rufe Klaus, meinen Chefredakteur, an. Ja, er habe das mit dem zweiten Mord mitbekommen. In der Agenturmeldung sei außerdem die Rede davon, dass es sich bei der Täterin um die Leiterin des Klosters der heiligen Hildegard handle. Es sehe ganz danach aus, bestätige ich. Und ich bitte ihn, der Fotoredaktion zu sagen, dass man mir alle Bilder der ,Beauty Oasis‘ auf eine DVD spielen und zu meinem Laptop legen soll.
„Das heißt, für dich ist der Fall noch nicht geklärt?“, fragt der Chefredakteur.
„Zumindest nicht in allen Aspekten“, antworte ich. „Außerdem kommt unser nächstes Heft erst in einer Woche heraus. Da brauche ich mehr als das Tagesaktuelle.“ Und: Ich habe keine Lust darauf, dass dieser falsche Professor und seine Freunde in strahlender Schönheit davonkommen. Aber das behalte ich vorerst für mich.
Es ist bereits gegen vier, als ich endlich vor dem Gebäude, in dem das „Genetic Research Austria“ untergebracht ist, parke. Hoffentlich macht Natalie Veith am Freitagnachmittag nicht Frühschluss. Das Wetter würde heute dazu einladen. Wer weiß, wie lange es noch so warm bleibt. Jetzt kenne ich mich hier schon aus. Ich gehe durch die glänzende Halle, nicke dem Portier wie einem alten Bekannten zu, nehme den Lift in den fünften Stock. Ich bin gespannt, ob die Universitätsprofessorin in ihrem Zimmer hockt und versucht, harmlose Besucherinnen zu irritieren. Unfair, Mira. Sie kann nichts dafür, dass du sie für eine Sekretärin gehalten hast. Ich läute, sehe hinauf zur Kamera. Nichts. Ich läute noch einmal. Nichts. Mist. Heute habe ich kein Glück. Ich habe die Nummer von
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