Unterm Messer
Natalie Veith auf meinem Telefon gespeichert. Vielleicht hat man sie aufs Polizeikommissariat bestellt. Oder kommt Knobloch nach Wien, um mit ihr zu reden? Ich suche gerade nach der Nummer, als die Tür aufgeht. Der junge Asiate, den ich beim letzten Mal im Labor gesehen habe, steht vor mir.
Viel mehr als „Guten Tag“ scheint er auf Deutsch nicht zu können, das ist mir nach dem ersten Satz klar. Die Wissenschaftssprache ist eben Englisch, es gibt zumindest keinen beruflichen Grund für ihn, Deutsch zu lernen. Wir wechseln ins Englische und er erzählt mir, dass dieses idiotische Türüberwachungssystem schon wieder nicht funktioniere. Und da heute Freitag sei, dauere es drei Tage, bis jemand vorbeikommen und es reparieren werde. Es sei ein blanker Zufall gewesen, dass er mein Läuten gehört habe, er habe gerade etwas aus seinem Büro holen wollen. Alle, die jetzt noch da seien, seien im Labor. Ja, Nat sei auch hier. Doch Glück gehabt.
Diesmal steht die Wissenschaftlerin bei einer Mitarbeiterin mit kurzen blonden Haaren. Sie schauen beide auf den Computerbildschirm, scheinen gerade irgendwelche Zahlenreihen und dann ein seltsames Muster, ähnlich einem Barcode, zu analysieren.
„Oh“, sagt Natalie Veith, als sie mich endlich wahrnimmt. Es ist, als würde sie aus einer anderen Welt zurückkehren. „Wir machen gerade sehr interessante Tests“, erklärt sie mir dann. „Gibt es etwas Neues? Ich habe nicht viel Zeit. Ich habe eigentlich schon alles gesagt.“
„War die Polizei noch gar nicht bei Ihnen?“
„Polizei?“ Natalie Veith runzelt die Stirn. „Nein. Warum? Wir sind allerdings heute schon seit neun im Labor und der Monitor unseres automatischen Türöffners funktioniert nicht.“
„Telefon?“, liefere ich ihr ein Stichwort.
„Hier drin gibt es keins. Und mein Mobiltelefon lasse ich für gewöhnlich im Büro. Unsere Sekretärin hat Urlaub.“ Sieh an, also gibt es doch eine echte Sekretärin. Eigentlich klar, Papierkram fällt sicher auch hier genug an. „Warum sollte die Polizei mit mir reden wollen?“, fragt Dr. Veith.
„Weil Peter Schilling ermordet wurde“, antworte ich.
Sie starrt mich an. „Ich bin bald wieder da“, flüstert sie ihrer Mitarbeiterin zu, als würden zu laute Worte die Muster am Computerbildschirm durcheinanderbringen. Tatsächlich handelt es sich um sehr feine Linien in Pastellfarben. Was das wohl sein kann?
Im Büro öffnet Natalie Veith die oberste Schreibtischschublade, nimmt ihr Mobiltelefon heraus, schaltet es ein. „Es sind ein paar Anrufe drauf. Keine Ahnung, ob einer von der Polizei war.“
„Gibt es einen mit der Vorwahl 31?“
„Ja, da sind sogar drei“, nickt sie.
„Bezirkspolizeikommando Feldbach, vermute ich.“
Wir setzen uns an den kleinen runden Tisch. „Was ist geschehen?“, fragt sie und ich berichte erst einmal von den wichtigsten Fakten.
„Peter hat mich verlassen?“, die Wissenschaftlerin lacht auf. „Ich erzähle Ihnen, wie es wirklich war. In einem Punkt hat er die Wahrheit gesagt, wir haben uns beim HGP, dem Human Genom Project, kennengelernt. Er wurde mir als eine Art Assistent zugewiesen. Ich war damals gerade offen für ein wenig Ablenkung, Unterhaltung. Bei einem so riesigen Projekt ist man nur ein sehr kleines Rädchen, ich wollte unbedingt mit dabei sein, wenn das menschliche Genom entschlüsselt wird, aber die Arbeit, die ich zu machen hatte, war eher uninteressant.“
„Das bedeutet also doch, dass Sie einige Jahre zusammen waren, oder?“
„,Zusammen' ... einmal mehr, einmal weniger. Es waren nicht ganz zwei Jahre, wenn ich mich recht erinnere. Er hat sich dann von Grünwald anwerben lassen. Grünwald hat in allen Fachpublikationen annonciert, dass er die besten Wissenschaftler für sein Labor suche. Grünwald hat fantastisch gezahlt. Und Peter hat mir irgendwann erzählt, dass es nicht nur um irgendwelche idiotischen Cremes gehe, sondern auch um Genforschung. Ich habe zuerst gedacht, er erzählt das nur, damit sein Job nicht gar so lächerlich wirkt. Aber dann ist er mit Grünwald aufgetaucht und der hat mir bestätigt: Er habe das Ziel, die besten Genetiker zu gewinnen und mit ihnen den ,Code des Alterns' zu knacken. Ich habe zuerst gespottet. Ich meine, Sie wissen, wie der Schönheitschirurg aussieht: wie ein etwas fehlgeschlagener Werbeträger für die Wirkungen seiner ,Oasis‘. So einer will in der Genforschung mitmischen? Aber dann ist mein Werkvertrag ausgelaufen und die Bewerbung am MIT in Boston
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