Unterm Messer
nehme an, das tun andere auch.“
„Die Kapseln nützen nicht viel, so einfach lassen sich genetische Muster auch wieder nicht drankriegen. Das Altersgen F0X03A bindet unter bestimmten Umständen ganz gezielt an DNA und kann so genetische Programme einschalten, zum Beispiel ein Programm zum Wachstum von Muskelzellen. Eine synthetische Substanz, die dieses F0X03A an DNA binden lässt, ist Insulin Glycol. Allerdings hat sich herausgestellt, dass es nichts nützt, wenn man dieses Insulin Glycol von außen zuführt. Man muss die Muskelzellen selbst stimulieren, damit sie diesen Stoff produzieren.“
„Und das geht?“
„Wem es gelingt, eine Substanz oder eine synergetisch wirkende Substanzmischung zu entwickeln, die das kann, der hat ausgesorgt. Aber zuerst muss er es schaffen, das wirksame Molekül patentieren zu lassen.“
„Molekül?“, frage ich und komme mir ziemlich dumm vor.
„Ja klar, wir reden ja von Substanzen, die durch die Zellwände dringen sollen. Das können nicht einmal alle Moleküle. Je kleiner sie sind, desto besser.“
„Wie nah ist das Labor von Grünwald dran?“
„So nah wie andere auch, vermute ich einmal. Das Problem ist, dass Ergebnisse an anderen Lebewesen nicht immer aussagekräftig sind, dass man aber natürlich beim Menschen nicht einfach drauflostesten kann. Wobei man das mit dem Muskelwachstum oder auch dem angehobenen Aktivitätspegel bei einer vorgetäuschten Kalorienrestriktion schon ganz gut messen könnte. Wenn es aber um die doch viel komplexeren Voraussetzungen einer umfassenden Verzögerung des Alterungsprozesses geht, dann werden Forschungsreihen beim Menschen schwierig. Bei entsprechend hoher Lebenserwartung dauert es einfach sehr lange, bis wir Ergebnisse haben.“ „Wie alt könnten wir werden?“
Natalie Veith sieht beinahe schwärmerisch drein. „Wir wissen es noch nicht. Das ist vielleicht das Schönste daran. Der C. elegans lebt üblicherweise zwei Wochen, ich habe Exemplare, die sind mehr als zwei Monate alt geworden. Bei Mäusen ist es gelungen, das Lebensalter zumindest zu verdoppeln. Und: Sie bleiben nicht einfach länger alt, bis sie sterben, sondern sie altern tatsächlich weniger rasch.“
Eines ist jedenfalls klar: Wenn Natalie Veith keine totale Fantastin ist, und so ist sie mir bisher wirklich nicht erschienen, dann sind Wissenschaftler momentan nicht nur an einem der großen Geheimnisse des Lebens dran, sondern sie befinden sich auch mitten im Wettrennen um einen enorm großen Markt. Wer würde nicht Geld für ein Mittel ausgeben, das ihn langsamer altern lässt? Gott hätte damit wohl ... - Was hieße das für Menschen, die an einen lenkenden Gott glauben? Würden sie akzeptieren, dass ihm die Wissenschaft gewissermaßen ins Handwerk pfuscht?
„Wussten Sie, dass Schwester Gabriela ausgebildete Medizinerin ist?“, frage ich dann.
Natalie Veith sieht mich irritiert an. „Was? Nein. Ich habe es nicht gewusst. Ich dachte, sie sei Krankenschwester oder so.“
„Sie muss gegen Ende ihres Studiums so etwas wie ein Berufungserlebnis gehabt haben.“
„Das glauben in unserer Zeit wohl alle, bevor sie in ein Kloster gehen“, stellt die Wissenschaftlerin fest. „Sonst könnten sie sich auch in ihrem Beruf verwirklichen oder in einer Familie oder sich in einem Fitnesscenter austoben.“
Ich grinse. Stimmt schon. Die Frage ist nur, wie jenseitsorientiert Schwester Gabriela tatsächlich ist. Fitnesscenter. Die goldene Doppeltür auf der Schmalseite der „Beauty&Young“-Halle. Ich hab da so eine Idee. Hat Dr. Veith nicht gemeint, dass die genetische Stimulation von Muskelwachstum schon recht weit entwickelt sei? „Wenn es schon Substanzen gibt, die das zelleigene Muskelwachstum genetisch anregen: Bekommen Menschen dann davon wirklich mehr Muskeln?“, frage ich.
Meine Gesprächspartnerin nickt. „Solche Testreihen darf man nicht ohne Weiteres durchführen. Aber es gibt sie wohl. Illegal. Wobei da nicht reines Muskelwachstum angestrebt wird, sondern vor allem die Mobilisierung aller Reserven durch die vorgetäuschte Kalorienreduktion. Sie haben sicher schon von Gendoping gehört. Auch da geht es inzwischen nicht mehr nur darum, ein Gen einzuschleusen oder zu verändern, sondern auch um die DNA-Muster.“
Ich nicke und versuche mir wenigstens das Wichtigste zu merken.
„Sportler sind, zynisch gesagt, neben Krebspatienten im Endstadium die besten Versuchsobjekte für Genetiker. Sie trainieren hart, und wenn zum äußersten Erfolg nur noch
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