Unterm Messer
erfahren. Da war er sehr vorsichtig. Auch wenn ... Dunkel kann ich mich erinnern, dass da einmal etwas mit Lateinamerika war ... El Salvador ... Ich kann es nicht ausschließen ... Ein Paket war angekommen, man hat es ins Labor geliefert. Ich wollte es aufmachen. Da ist Grünwald hereingestürmt und hat mich angeschrien, dass das privat und für ihn sei. Mit ein Grund, warum ich bald darauf gegangen bin. Ich habe so etwas nicht nötig.“
„Und warum haben Sie Peter Schilling verklagt? Sie haben doch gemeinsam geforscht, oder? Wie hätte er Ihnen Forschungsergebnisse klauen können?“
Die Wissenschaftlerin runzelt die Stirn. „Das haben Sie in den Akten gelesen, was? Ich werde versuchen, es für Sie verständlich zu erklären. Ich habe ja schon vor meiner Zeit in der ,Beauty Oasis' an Genen geforscht, die mit dem Alterungsprozess zu tun haben dürften. Da gibt es das F0X03A, in der Öffentlichkeit auch bekannt als „Methusalem-Gen“. Ich habe mich mit einem ähnlichen Gen beschäftigt, das allerdings die gegenteilige Wirkung hat, weil es eine drastische Verkürzung der Telomere bewirkt und dadurch die Zellen schnell vergreisen lässt. Zelltod ist ja an sich nicht schlecht, denken Sie nur daran, dass so Krebszellen in den Tod getrieben werden können. Und auch bei alten Zellen ist es gut, wenn sie schneller sterben, dann können Stammzellen neue, junge Zellen nachbilden und der Körper bleibt jung. Wenn es der Genforschung gelänge, dieses Gen zu kontrollieren, sodass es keinen Schaden an den Telomeren verursacht, dann wäre das ein Schritt in die Richtung zu längerem und gesünderem Leben. — Sie verstehen?“
„Also ist es wissenschaftlich tatsächlich vorstellbar, Methoden zu entwickeln, durch die wir länger leben?“
Natalie Veith lächelt. ,„Vorstellbar' ist wissenschaftlich sowieso beinahe alles. Ein wenig weiter sind wir schon. Wir haben inzwischen doch sehr konkrete Hinweise darauf, dass es sozusagen ein genetisches Programm für das Altem gibt, aber auch für gesundes Altwerden. Was das Ausschalten von Genen angeht, so ist das enorm schwierig, weil man die Information zum Ausschalten eines Gens ja nicht in jedem Zellkern haben will, sondern nur in gewissen. Erste Testreihen hat es gegeben, man hat sie wieder eingestellt. Die Folgen waren nicht gut genug abschätzbar. — Ich hab mit Peter natürlich über meine Forschungsreihen und über meine Ergebnisse gesprochen, es ist üblich, dass man solche Dinge mit Kollegen durchdiskutiert. Aber es ist nicht üblich, dass einer die Daten auf seinen Computer lädt und so tut, als wären es seine Forschungen gewesen. Keine Ahnung, ob er sie unter seinem Namen veröffentlichen wollte oder ob er dafür auf Extrageld von Grünwald gehofft hat. Jedenfalls: Er hat mir meine Ergebnisse geklaut.“
„Haben Sie die Ergebnisse nicht ohnehin im Grünwald-Labor verwendet?“ Ich frage mich durch einen Nebel aus Unwissen und Vermutungen. Der Nebel scheint immer dichter zu werden.
„Nein. Das war meine Studie, ich habe sie vor der Zeit bei Grünwald gemacht, ich wollte sie publizieren. Außerdem: Genforschung ist ein unendlich weites Feld. Und selbst die genetische Alternsforschung hat sehr viele Aspekte. Bei Grünwald ging es um die möglichst rasche praktische Umsetzung lebensverlängernder Methoden. Auch da forscht man allerdings momentan nicht in erster Linie nach Möglichkeiten, Gene aus- oder einzuschalten. Es geht viel häufiger um Substanzen, die den Bauplan von Genen und DNA-Abschnitten verändern können. Ich glaube, ich habe Ihnen letztes Mal schon von Resveratrol erzählt, diesem Stoff aus Rotweintraubenschalen, der offenbar lebensverlängernd wirkt, indem er eine Kalorienrestriktion vortäuscht. Es geht darum, Ähnliches und noch Wirksameres zu finden. Pharmariesen haben heute Millionen Substanzen, die sie in Robotermaschinen genau auf diese Wirkung hin testen. Man versucht auch, Substanzklassen zu mischen und in verschiedenen Kombinationen wirken zu lassen, weil dadurch eine ungeheure Verstärkung der einzelnen Wirkstoffe erzielt werden kann.“
„Was ergibt es aber für einen Sinn, das mit ein paar Forschern in einem versteckten Labor im Keller einer Schönheitsklinik zu versuchen?“, frage ich.
„Es geht nicht nur um eine möglichst große Menge an Tests und Ergebnissen, sondern auch darum, die klügsten Köpfe zu versammeln. Und um etwas Glück“, erwidert die Forscherin.
„Aber Grünwald verkauft doch schon Resveratrolkapseln. Und ich
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