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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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Abstiegsängste der Mittelschicht. Der Begriff »Parallelgesellschaft« trifft nicht nur auf die kulturelle und lebensweltliche Abkapselung von eher schwächeren Einkommensklassen und »Bildungsarmen«, insbesondere Migranten, zu. Von einer Parallelwelt darf auch mit Blick auf eine prosperierende Oberschicht gesprochen werden, die sich in einer eigenen Wirklichkeit eingerichtet hat. Sie teilt paradoxerweise das Gefühl der Unterschicht, nicht mehr dazuzugehören, wenn auch aus anderen Gründen. Der britische Politikwissenschaftler Anthony Giddens nennt sie die »sozial Ausgeschlossenen an der Spitze«. Sie ist aufgrund ihres materiellen Status nicht auf öffentliche Güter und Dienstleistungen angewiesen, weil sie sich, von Bildung für ihre Kinder über Gesundheitsdienstleistung, kulturelle Angebote, Transport und Sport bis hin zu Sicherheitsdiensten, alles privat beschaffen und leisten kann. Deshalb erscheint einem Teil von ihr auch die Erhebung von Steuern zur Finanzierung öffentlicher Leistungen als Zumutung. In diesem Verständnis sind Ausweichmanöver, zum Beispiel in Nachbarländer, zumal dort Bankinstitute offenherzig, aber zugleich diskret behilflich sind, ein Akt der Notwehr - nicht legal, aber durchaus legitim und somit ein Kavaliersdelikt. Die kriminelle Flucht in der Absicht, dem eigenen Staat jene Ressourcen zu verweigern, die er zur Erfüllung der ihm abverlangten Aufgaben braucht, ist ein Aspekt. Hinter ihm stehen spektakuläre Fälle. Aber er beschreibt kein Massenphänomen, weshalb sich ein Kollektivverdacht verbietet.
    Weit wichtiger ist der Aspekt der kulturell-mentalen Distanz, die den sozialen Konsens bedroht. Dafür gab es in den letzten Jahren keinen kräftigeren Treibstoff als die Fixierung auf hohe Renditen im globalen Finanzkapitalismus. In den »guten alten Zeiten« von Unternehmensgründern, auch Patriarchen, Wirtschaftskapitänen oder unternehmensgebundenen Managern der Realwirtschaft, als Eigenkapitalrenditen zwischen 5 und 10 Prozent noch Anlass gaben, Sektkorken knallen zu lassen, und keine Furcht vor Rating-Agenturen auslösten, als man noch um die Risiken exzessiven Wachstums wusste, Sinn für Proportionen und nicht zuletzt auch Bodenhaftung im Kontakt mit einer geschätzten Stammbelegschaft hatte, da gab es diese heutige Subkultur mit ihrer Definitionsmacht über das Wirtschaftsleben noch nicht, nach der aus einem minimalen Eigenkapital astronomische Profite zu hebeln sind.
    Das hat sich mit der Ablösung der Saurier der Realwirtschaft durch die Entfesselungskünstler der modernen Finanzwelt geändert. Andreas Zielcke beschreibt die idealtypischen Eigenschaften der neuen Leitfiguren des Finanzparketts so: »In keiner anderen Berufswelt gibt es eine solche Dichte von bedingungsloser Fokussierung, von professioneller Höchstleistung, nein Brillanz, von kompetitiver Härte, Dynamik und Arbeitswut, von Egomanie und Narzissmus, von Testosteron und Familienferne, von Glücksrittertum, Risikobereitschaft und strengster Disziplin in einem, von nonkonformistischer Intelligenz, List und Finesse. Und nicht zu vergessen diese Dichte von gebieterischer Arroganz.« Dies wirkt stilbildend. Es färbt ab auf eine Managementklasse und ihre Truppen, die sich als Globalisierungselite, ähnlich den Spielern auf dem internationalen Fußballmarkt, längst von ihren jeweiligen nationalen Gesellschaften gelöst haben. Sie haben sich nicht nur von den rauen Wirklichkeiten in den gesellschaftlichen Niederungen abgekapselt. Es fällt ihnen in ihrer Parallelwelt auch immens schwer, sich benachbarte Räume wie Politik und Medien zu erschließen oder sich diesen verständlich zu machen.
Die Grenzen der Transfergesellschaft
    Die deutsche Sozialquote, der Anteil der Sozialausgaben am BIP, beträgt rund 30 Prozent. Unter den 27 EU-Mitgliedsstaaten ist sie damit die sechsthöchste nach Ländern wie Schweden, Frankreich und Dänemark. Ihre jährliche durchschnittliche Veränderung zwischen 2000 und 2005 war mit 0,2 Prozent allerdings die niedrigste in der EU. Tatsächlich ist sie bereits 1970 so hoch gewesen wie heute, wobei es in diesen 40 Jahren Schwankungen zwischen maximal 32 Prozent und minimal 27 Prozent gab. Damit wird das Bild des gefräßigen Sozialstaates, der in den letzten Jahren von der Wirtschaftsleistung immer mehr Geld abgesaugt hat, durch nüchterne Zahlen widerlegt. Ob unser Sozialstaat mit einer Sozialquote von 30 Prozent fett ist, darüber lässt sich nur ein müßiger Streit führen.

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