Unterm Strich
Skandinavische Länder fahren mit verhältnismäßig hohen Sozialquoten ganz gut, während einige EU-Staaten mit niedrigen Sozialquoten keineswegs eine höhere Wettbewerbsfähigkeit aufweisen. Viel wichtiger ist zum einen die Frage, wie zielgenau die Sozialausgaben zum Ausgleich, zur Förderung und zum sozialen Frieden beitragen. Zum Zweiten stehen die Sozialausgaben heute in einer Konkurrenz zu anderen Ausgabenblöcken im öffentlichen Haushalt, die sich in den vergangenen 40 Jahren grundlegend gewandelt hat. Der Anteil der Zinsausgaben am Bundeshaushalt ist mit u,5 Prozent höher als der Anteil der zukunftssichernden Investitionen mit 9 Prozent. Hier liegt der Hase im Pfeffer.
Erstens überzeugt das Credo »Viel hilft viel« in der Sozialpolitik nicht mehr. Das belegt die mangelhafte Trefferquote der eingesetzten Mittel. Bei den Pro-Kopf-Ausgaben sozial- und familienpolitischer Leistungen liegt Deutschland im internationalen Vergleich häufig in der Spitzengruppe. Aber die Ergebnisse erreichen nur selten die Bestnoten anderer Länder. Untersuchungen belegen, dass die simple Erhöhung individueller Transfers zwar die akute Einkommenssituation der Empfänger verbessert, aber keineswegs den Kern des Problems ihrer sozialen Lage trifft. Zweitens ist die heutige Struktur des Bundeshaushalts mindestens ein so großes, aber unterschätztes Problem wie das hohe Niveau seiner Kreditfinanzierung. Der Bundeshaushalt ist durch vier große Blöcke weitgehend verkarstet. Zuweisungen an Sozialversicherungsträger und die Bundesagentur für Arbeit, sonstige Zuschüsse und Zinsen belegen allein rund 63 Prozent des Bundeshaushalts. Der Gestaltungsspielraum, der ihm für Investitionen und damit zur Zukunftssicherung des Landes verbleibt, ist erschreckend gering.
Darauf hinzuweisen bedeutet nicht, die sozial- und familienpolitischen Probleme kleinzureden, schon gar nicht in der mehr oder minder versteckten Absicht, den Sozialstaat auf eine Armenfürsorge zurückzuschneiden. Die sozial- und familienpolitischen Probleme sind manifest und verlangen Antworten. Der Sozialstaat ist auch nicht von einer spätrömischen Dekadenz durchzogen, um die zynische und in einem Abwärtssog der FDP klar kalkulierte Rhetorik von Herrn Westerwelle aufzugreifen, die nach missbilligenden Reaktionen nicht minder taktisch mit dem Impetus gerechtfertigt wurde, endlich einmal Klartext zu sprechen und eine Grundsatzdebatte vom Zaun zu brechen. Dekadenz ist weniger auf den Holzbänken unserer Gesellschaft als vielmehr in ihren Fauteuils festzustellen. Der Sozialstaat und die auf ihn angewiesenen Menschen sind nicht dekadent. Der Sozialstaat ist eine kulturelle Errungenschaft. Er ist effektiv im Sinne von dienlich und nützlich für soziale Stabilität. Aber er ist nicht effizient genug. Die eingesetzten öffentlichen Mittel, die in Konkurrenz zu anderen Ausgabenzwecken stehen, haben eine zu große Streuung.
Die fast reflexhafte Neigung der Sozialpolitik, auf die Verschärfung jedweder sozialen Lage mit der Erhöhung individueller Transfers zu antworten, ist nicht nur meistens probleminadäquat und damit phantasielos. Das spielt auch jenen in die Hände, die daraus die Funken für eine breitere Frontstellung gegen den Sozialstaat schlechthin schlagen. Der Sozialstaat ist nach Lage der Dinge - mit der Inanspruchnahme von 30 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung - nicht billiger zu haben. Wohl aber günstiger. Schauen wir uns einige Bereiche genauer an.
A. Das Kindergeld
Im Jahr 2008 ergab sich aus der turnusmäßigen Berechnung des Existenzminimums für Kinder eine rechtlich zwingende Anpassung des Kinderfreibetrags in der Steuerberechnung für Eltern. Da dieser Freibetrag aber den Höherverdienenden wegen des progressiven Steuertarifs weitaus größere Vorteile bringt als den Eltern aus niedrigeren Einkommensschichten, ergibt sich eine Art politisches Junktim, dass mit der Erhöhung des Kinderfreibetrags auch das Kindergeld erhöht wird. Beidem konnte ich als Bundesfinanzminister nicht viel abgewinnen - nicht um Geld zu sparen, sondern aus grundsätzlichen Erwägungen. Hier werden Steuergelder in Milliardenhöhe schlicht am Problem vorbeigeleitet.
Zunächst geht es mir gegen den Strich, dass dem Staat nicht jedes Kind gleich viel wert ist. Denn nach wie vor ist die Begünstigung der Kinder von Eltern, die von dem Kinderfreibetrag profitieren, höher als im Fall der Zahlung von Kindergeld. Natürlich weiß niemand, wie viel von dem Kindergeld oder
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