Unternehmen Vendetta
versuchte, sich in andere Erinnerungen von zu Hause zu flüchten. An der Scala hatte die Saison mit Mozarts »Idomeneo« begonnen. Die Karten für die Premiere hatten bis zu einer Million Lire gekostet, und es gab offenbar etliche Mailänder, die bereit waren, so viel zu zahlen, um den Meeresgott auftauchen zu sehen, der den törichten Sterblichen auf die Sprünge hilft.
Und damit war er wieder beim Thema. Ein Meerdämon, Triton. Trident. Operation Swordfish, pesce spada auf italienisch.
Er zwang sich erneut, an das Theater in Mailand zu denken. An dem zweiten Heiligtum, il Piccolo, hatte Giorgio Strehler den zweiten Teil des Faust inszeniert, und Luigis Mutter hatte sich über die fast lächerliche Unspielbarkeit des Stücks ausgelassen und sich sehr ironisch und unterhaltsam über die vermeintlich »prophetischen Metaphern über Macht, Geld, Krieg und den archetypischen Kampf des Nordens mit dem Mittelmeer« geäußert.
Damit war er sofort wieder da: Der Kampf des Nordens mit dem Mittelmeer würde in ein paar Stunden beginnen.
Noch etwas anderes von zu Hause? Großvaters Überlegungen zum Zusammenbruch der Banco Ambrosiano mit Licio Gelli als Hauptangeklagtem, und Großvater glaubte, sie würden Gelli niemals wegen…
Damit war er schon wieder beim Thema. Gelli war die Mafia. Er verließ Mailand in Gedanken und flüchtete nach San Diego, in eine Welt mit langsamen, klapprigen Autos, mit amerikanischem Football und Hamburger-Buden, Surfern an den Stranden und der langen, graublauen Dünung. Er konzentrierte sich auf die Dünung und schlief ein oder auch nicht, und die Zeit floß in einem Zustand zwischen Traum und Wachsein dahin, bis der Wecker ihn endlich befreite.
Er sprang schnell aus der Koje und machte das schwache Kabinenlicht an. Die beiden anderen bewegten sich grunzend und unwillig, als hätten sie viel lieber weitergeschlafen, als mit dem ersten Schritt des Unternehmens zu beginnen.
Luigi zog sich die dünne Tarnkleidung an. Åke Stålhandske gähnte, streckte sich und erhob sich schwer, um Kaffee und ein paar Butterbrote zu machen.
Carl und Luigi halfen einander, die Taucheranzüge überzustreifen, und begannen, die Ausrüstung zur Plicht zu schleppen. Oben in Don Tommasos Burg war kein Licht zu sehen.
Sie tranken schweigend ihren Kaffee. Dann half Åke den beiden anderen, ihre Sauerstoffgeräte umzuhängen und die Transportsäcke über die Reling zu kippen. Kurz bevor sie die Tauchermasken über das Gesicht zogen, trat Carl zu Luigi, faßte ihn an den Schultern und sah ihm lächelnd in die Augen.
»Gut geschlafen?« fragte er mit einem Augenzwinkern.
»Nein, das kann ich nicht behaupten«, erwiderte Luigi unsicher.
»Das ist normal. Du ahnst nicht, wie normal das ist«, sagte Carl und klopfte ihm auf die Schulter. »Deswegen brauchst du dir aber keine Sorgen zu machen. Wir sind ein gutes Team. Ich gebe dir Deckung, was immer du tust. Ich werde immer hinter dir sein, darauf kannst du dich verlassen. Und ich verlasse mich auch auf dich. Denk daran, Luigi, du bist the best of the best, vergiß das nicht.«
Carl betrachtete Luigi einige Augenblicke forschend und lächelnd, bevor er die Maske vors Gesicht zog und sich rücklings über die Reling fallen ließ.
Luigi folgte ihm im nächsten Moment nach.
Als er in die Dunkelheit hinunterwirbelte, empfand er es als eine Befreiung. Endlich waren sie unterwegs. Carl, der dort unten gewartet und zu den schwachen Lichtreflexen an der Wasseroberfläche hinaufgeblickt hatte, packte ihn schnell am Handgelenk und befestigte eine Signalleine an einem Tragriemen des Aggregats. Kurz darauf waren sie mit ihren Vorbereitungen fertig und schwammen los. Carl schwamm voraus, da er die Orientierungsinstrumente hatte, während Luigi die Transportsäcke hinter sich her zog. Sie schwammen in mäßiger Tiefe, weniger als zehn Meter, und Luigi überkam erneut ein Gefühl von Übung und Unwirklichkeit. Er tat etwas, was er schon so oft getan hatte. Doch der Inhalt der Transportsäcke war nicht für eine Übung gedacht.
Sie schwammen mit gleichmäßigen Zügen und ohne jede Eile. Die Distanz war kurz, und sie hatten viel Zeit. Schon bald bekamen sie Bodenberührung und stiegen auf. Kurz darauf war zu hören, daß sie sich dem Strand näherten: Sie hörten das Rauschen von Wellen, das Rasseln von Stein und Metall.
Luigi wartete unter Wasser, während Carl an Land ging und sich umsah. Carl hatte in einem Kunststoffbeutel eine Nachtsichtbrille mitgebracht, so daß er den
Weitere Kostenlose Bücher