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Unternehmen Vendetta

Unternehmen Vendetta

Titel: Unternehmen Vendetta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Motorrad auftauchte und wie die Schüsse fielen, die ersten Schüsse.
    Er wiederholte die Bilder der ersten Schüsse. Joar hatte sich neben den Fuß des pilzförmigen gußeisernen Tischs geworfen und ihn als Schutzschild hochgerissen. Jedoch nicht für sich selbst, sondern für Carl. Deshalb war es dem Schützen so leichtgefallen, ihn zu treffen, da Joar das Ziel gewesen war und nicht Carl. Joar mußte also noch Zeit gehabt haben, sich etwas zum Schutz von Carl auszudenken. Aus diesem Grund hatte Joar die ersten Treffer ziemlich tief in der Magengegend erhalten, da er den Tisch schon als Schild hochgerissen hatte, als der Schütze das Feuer eröffnete. Joar verlor dann den Tisch, der hart und metallisch gegen das Pflaster schlug und ein wenig zur Seite rollte, während er sich zusammenkauerte, sich den Bauch hielt und etwa eine Sekunde lang ungeschützt dalag, bevor die tödlichen Schüsse fielen.
    Wären sie bewaffnet gewesen, hätte Joar überlebt. Wenn sie sich entschlossen hätten, im Restaurant zu essen, hätten die Mörder nicht so leicht an sie herankommen können. Wenn Joar klar gewesen wäre, daß er das Ziel war und nicht Carl, hätte er überleben können. Dann hätte er den Tisch ganz anders verwendet. Er war immerhin aus Gußeisen, und 9-mm-Geschosse hätten ihn unmöglich durchschlagen können. Vor allem wäre jedoch alles anders gewesen, wenn sie selbst Waffen getragen hätten. Wenn Carl eine Pistole oder einen Revolver bei sich gehabt hätte, hätte er sowohl den Fahrer als auch den Mitfahrer auf dem Motorrad in dem Moment kampfunfähig machen können, als das Feuer auf Joar eröffnet wurde. Dieser wäre zwar mit einem Bauchschuß, jedoch lebend ins Krankenhaus eingeliefert worden, wäre ein paar Stunden operiert worden und hätte später noch am selben Tag mit Carl sprechen können. Danach wäre es nicht mehr möglich gewesen, sie zu überraschen.
    Carl war also der Schuldige. Er war verantwortlich, daran war nichts zu deuteln. Schuld war sein arroganter Entschluß, daß sie sich beide unbewaffnet in der Stadt bewegen sollten. Carl hatte, ohne zu verstehen, was er damit tat, Don Tommaso beleidigt, statt sich zum Schein zu unterwerfen. Er hatte gesagt, sie sollten lieber draußen sitzen, statt im Lokal Schutz zu suchen. Und jetzt reiste Joar, für den Transport einbalsamiert, im Laderaum dort unten.
    Carl schloß die Augen, als wollte er damit die unaufhörliche Wiederholung von Bildern verhindern, die von der Netzhaut aufs Gedächtnis übertragen wurden, doch wenn er die Augen schloß, wurden die Bilder nur stärker, noch deutlicher, messerscharf in den Details und rollten langsamer ab, wie in Zeitlupe. Sie ließen ihn deutlich den dumpfen Laut der ersten Treffer hören, die Joar in den Bauch trafen.
    Carl erkannte, daß es ihm zum ersten Mal seit sehr langer Zeit, solange er sich zurückerinnern konnte, nicht gelingen würde, einen Flug schlafend zu überstehen.

4
    Der Alte war ausgebildeter Psychologe, ein etwas ungewöhnlicher Hintergrund für einen pensionierten Spionagechef. Er kannte Carl vermutlich besser als jeder andere Mensch. Dennoch fiel es ihm schwer, seine Eindrücke zu deuten. Sam hatte ihn am Nachmittag angerufen und einen kurzen Bericht gegeben sowie ihn gebeten, mit der ersten besten Maschine nach Stockholm zu fliegen. Das hatte wie gewöhnlich einige Komplikationen mit den Enkeln gebracht, die zu Besuch waren. Es war ja Mittsommerzeit.
    Carl war bleich, unrasiert und sprach schnell, mechanisch und ein wenig beamtenhaft, was für den Schockzustand, in dem er sich befand, typisch war.
    Sam machte Aufzeichnungen und rauchte unaufhörlich. Die drei waren allein im Raum.
    Über den eigentlichen Ablauf der Ereignisse war nicht mehr viel zu sagen, aber dem Alten fiel es nicht schwer, in Carls Bericht einen Unterton von Selbstanklage herauszuhören. Es würde eine lange und beschwerliche Angelegenheit werden, diese Schuldgefühle zu verarbeiten, das war vollkommen klar.
    Sam hatte diese Untertöne Carls offenbar auch bemerkt, denn er legte plötzlich den Bleistift weg, nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette und betrachtete Carl so lange, daß er seinen Blick fangen konnte, und hielt dann eine kurze, moralisierende Ansprache.
    »Jetzt hör mal zu, Carl«, begann er mit fester Stimme, »der Job von Hauptmann Lundwall bringt nun mal solche Risiken mit sich. Es ist nicht anders als bei dir. In Wahrheit ist es ein schieres Wunder, daß wir nicht schon früher solche Verluste erlitten haben.

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