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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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ich ermahnte ihn, er solle sie nicht anrühren, was wahrscheinlich nicht einmal nötig gewesen wäre. Die Frau hatte viel für Männer übrig und flog gleich auf Dean, aber sie war schüchtern, und er war ebenfalls schüchtern. Sie sagte, Dean erinnere sie an ihren davongelaufenen Mann. «Genau wie er – oh, das war ein Verrückter, ich sag’s euch!»
    Es folgten lärmende Biergelage im unaufgeräumten Wohnzimmer, lautstarke Abendessen und dröhnende Cowboy-Musik aus dem Radio. Komplikationen türmten sich wie aufsteigende Schmetterlingswolken: Die Frau – Frankie, wie alle sie nannten – wollte sich endlich ein altes Auto kaufen, wie sie es seit Jahren angedroht hatte, und war kürzlich ihrem Ziel ein paar Bucks nähergekommen. Dean übernahm sofort die Aufgabe, den Wagen auszusuchen und den Preis auszuhandeln, weil er natürlich selbst damit fahren wollte, damit er wie einst am Nachmittag aus der Highschool kommende Mädchen aufgabeln und mit ihnen in die Berge fahren konnte. Die arme arglose Frankie war stets für alles zu haben. Aber als sie auf den Platz kamen und vor dem Händler standen, hatte sie plötzlich Angst, sich von ihrem Geld zu trennen. Dean setzte sich in den Staub des Alameda Boulevard und schlug sich mit den Fäusten vor die Stirn. «Für einen Hunderter kriegst du nichts Besseres!» Er schwor, er werde nie wieder mit ihr reden, er fluchte mit hochrotem Kopf und war drauf und dran, so oder so in den Wagen zu springen und wegzufahren. «Oh, diese blöden blöden blöden Wanderarbeiter, sie werden sich nie ändern, wie absolut blöd, wie unglaublich borniert, kaum sind Taten angesagt, ergreift sie die heilige, hysterische Lähmung, nichts fürchten sie mehr als das, was sie sich immer schon wünschen – genau wie mein Vater, genau wie mein Vater , immer das Gleiche.»
    Dean war sehr aufgeregt an diesem Abend. Wir hatten uns mit seinem Vetter Sam Brady in einer Bar verabredet. Er zog ein sauberes T-Shirt an und strahlte übers ganze Gesicht. «Hör zu, Sal, ich muss dir von Sam erzählen – meinem Vetter.»
    «Übrigens, hast du nach deinem Vater gesucht?»
    «Heute Nachmittag, Mann, war ich in der Stadt in Jiggs’ Büfett, wo er sonst immer selig besäuselt am Zapfhahn stand und vom Chef runtergeputzt wurde und hinaustorkelte – nichts –, und dann war ich in dem alten Friseursalon beim Windsor Hotel – wieder nichts –, aber der alte Knabe dort sagte, er glaube – stell dir das vor! –, er arbeite neuerdings bei der Boston-and-Maine -Linie, in einem Eisenbahner-Musikschuppen in Neuengland! Aber das nehme ich ihm nicht ab, die Leute erfinden dir Schauergeschichten für zehn Cent. Jetzt hör mir gut zu. In meiner Kindheit war Sam Brady, mein Vetter, für mich der absolute Held. Er war Whiskyschmuggler in den Bergen, und einmal hatte er auf dem Hof eine furchterregende Prügelei mit seinem Bruder, zwei Stunden dauerte das, die Frauen kreischten vor Angst. Wir schliefen damals im selben Zimmer. Er war der einzige Mann in der Familie, der sich liebevoll um mich gekümmert hat. Und heute Abend soll ich ihn wiedersehen, zum ersten Mal seit sieben Jahren, er ist gerade aus Missouri zurück.»
    «Und wo ist der Haken?»
    «Kein Haken, Mann, ich will nur wissen, wie’s in der Familie so läuft – auch ich habe Familie, vergiss das nicht –, und vor allem, Sal, will ich mir Dinge aus meiner Kindheit erzählen lassen, die ich vergessen habe. Ich möchte mich erinnern, erinnern, ja, genau!» Nie hatte ich Dean so glücklich und aufgeregt erlebt. Während wir in der Bar auf seinen Vetter warteten, sprach er mit allen möglichen Gammlertypen und Strichern aus der Stadt, er wollte wissen, was es für neue Banden gab und was so los war. Dann erkundigte er sich nach Marylou, die kürzlich in Denver gewesen war. «Sal, wenn ich in meinen jungen Jahren an diese Ecke kam, um Kleingeld vom Zeitungsstand zu klauen und mir ein billiges Gulasch zu leisten, stand da immer dieser üble Bursche, den du da drüben siehst, nichts als Mord und Totschlag im Sinn, und fing eine grausame Schlägerei nach der anderen an, ich kann mich sogar an seine Narben erinnern … bis ihn das jahrelange Herumstehen an der Straßenecke schließlich weichgekocht und enorm geläutert hat, wie du siehst, jetzt ist er ganz friedlich und freundlich und hat Geduld mit allen und ist eine Institution an der Ecke geworden, da siehst du mal, wie es gehen kann.»
    Dann kam Sam, drahtig, mit krausem Haar, ein Mann von fünfunddreißig

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