Untitled
allen Asten der Bäume türmten, glitzerten wie Zucke r hüte.
Es war einer jener Augenblicke, in denen man sich wünschte, im ganzen Weltall würden alle Uhren stehen blei ben. Ja, jemand hatte Keith Andrews auf grausame Weise er mordet. Und jemand bedrohte uns; Arch hatte Schwierig keiten in der Schule; auf mich wartete bergeweise Arbeit, Buchführung, Kochen und Aufräumen. Ich musste Anrufe erledigen, Lebensmittel bestellen, Pläne au f stellen. Doch all das konnte vorerst warten. Ich sog die schneekalte Luft in tie fen Zügen ein. Der Espresso schmeckte wunderbar stark und aromatisch. Eines hatte ich in den letzten Jahren gelernt: Wenn die großen Momente kommen, sollte man innehalten und sie g e nießen, denn sie dauern nicht ewig.
Und dann trafen nach und nach die Blumen ein. Zuerst kamen Töpfe mit Fresien. Mattweiße, gelbe und rote Blü ten erfüllten Diele und Küche mit ihrem köstlich süßen Duft. Dann kamen Tausen d schön mit Erika und ein riesi ger Korb mit Gladiolen, Astern und Löwenmäulchen. Und schließlich händigte der Florist mir eine Schachtel mit lang stieligen, scharlachroten Rosen aus.
Er kannte den Anlass nicht und sah mich forschend nach Hi n weisen an, ob er sich traurig oder fröhlich geben sollte. Da ich mir nichts anmerken ließ, machte der Bursche wei terhin eine undurc h dringliche Miene. In der Floristen schule bringen sie ihnen offenbar Zurückhaltung bei. Ich arrangierte die Rosen in eine hohe Keramikvase, die Arch mir in der sechsten Klasse gemacht hatte, als er auch sei nen Holzschnitt für Schulz hervorgebracht hatte. Meine Küche duftete wie das Kühlhaus eines Blumenladens.
Das Telefon klingelte. Offenbar konnte Schulz es nicht ab warten, zu erfahren, ob sein Gewächshaus eingetroffen war.
Ich zwitscherte: »Goldilocks Blumenladen …«
»Huch? Goldy? Ist alles in Ordnung?«
Audrey Coopersmith.
»Nein«, antwortete ich ohne Zögern, »du musst mir hel fen kommen. Weißt du, nachdem ich mich mit all diesen Obstkuchen herumgeschlagen habe, bin ich völlig durch gedreht.«
Es entstand eine Pause. Vorsichtig setzte Audrey an: »Soll ich dich vielleicht später noch einmal anrufen?«
Deprimierte Menschen, vor allem solche, die eine Schei dung durchmachen, tun sich schwer mit Scherzen. Sie brau chen Humor, aber er ist wie ein Bankkonto, das plötzlich eingefroren wurde. Ich war allerdings die letzte, die ihr et was erklären würde.
»Also, ehm«, haspelte Audrey weiter, »wir haben da ein kleines Problem. Direktor Perkins hat gerade angerufen. Er erkundigte sich, ob wir ihm gegen Mittag etwas Gebäck vorbeibringen könnten. Sie haben einen Vertreter von Stanford zu einem i n offiziellen Besuch da.«
»Es tut mir leid«, antwortete ich fröhlich, »ich habe heute Mi t tag schon etwas vor.«
»Aber Goldy« – in ihrer Stimme lag etwas unverkennbar Jammerndes »ich kann dir helfen. Und ich glaube, es wäre eine großartige Erfahrung für Heather, den Vertreter von Stanford zu treffen. Du weißt doch, Carl kümmert sich überhaupt nicht darum, auf welche Schule sie geht, und so bleibt die ganze Verantwortung allein an mir hängen … kannst du mir nicht dieses eine Mal helfen? Ich mache wirk lich gerade eine schlimme Zeit durch … für dich ist es doch wohl keine große Sache, aber …«
Heather? Was hatte Heather mit dem Gebäck zu tun? Ich sollte backen, um Heather Coopersmith den Weg zu einem Zulassung s gespräch zum College ihrer Träume zu ebnen – vielmehr der Träume ihrer Mutter.
»Hör zu, Audrey, ich habe gute Laune und bemühe mich, sie auch zu behalten. Warum hat Perkins mich nicht selbst angerufen? Ich könnte der Schule ein paar Anregungen zu einem Imbiss für den Stanford-Vertreter geben.«
»Er sagte, er habe versucht, dich anzurufen, aber deine Leitung war besetzt. Ich sage dir, Goldy, er ist bereit, für mindestens sechs Dutzend zu zahlen, und ich kann dir hel fen, sie in die Schule zu bringen, mit Heather, natürlich, und der Vertreter …« Sie zögerte. »Du verstehst das einfach nicht: Stanford schickt nie einen Ve r treter in die Elk-Park-Schule. Sie glauben, sie haben das nicht nötig …«
»Dann gib dem Burschen gefrorenen Joghurt! Sag ihm, er soll so tun, als sei er in Nordkalifornien!«
Audrey seufzte matt und sagte nichts. Vermutlich verhielt ich mich nicht gerade wie eine Partylieferantin, die Ge schäfte machen wollte. Ich stellte schnell ein paar Berech nungen an. Gut,
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