Untitled
waren, würde das bedeuten, daß der Mörder Ihrer Frau straflos davonkäme und so etwas erneut tun könnte.»
«Natürlich, Sie haben recht. Verzeihen Sie mir, ich habe zur Zeit meine Gefühle nicht ganz unter Kontrolle. Ich weiß nicht, was ich rede. Übrigens, Sie wissen nicht zufällig, wo sich mein Schwiegervater aufhält, oder? Ich habe ihn seit dem schrecklichen Tag nicht mehr erreicht, wo ich ihm Rosamunds Tod beibringen mußte.»
«Er ist sehr verängstigt», sagte Wimsey, «ich habe mir erlaubt, ihn an einem Ort unterzubringen, wo man ihn kaum finden wird und wo er Gesellschaft hat, die ihn vom Grübeln abhält. Denn er hat genauso reagiert wie Sie: Falls die Erpressung irgend etwas mit dem Mord zu tun hätte, gäbe er sich eine Mitschuld am Tod seiner Tochter.»
«Aber Sie glauben das nicht?» fragte Harwell.
«Nein», antwortete Wimsey. «Nicht daß von besonderer Be
deutung wäre, was ich glaube. Aber Sie haben uns erzählt, wenn ich mich recht entsinne, daß Sie den Tisch im Bungalow nicht bemerkt haben?»
«Nein. Der Raum ist wie ein L geschnitten. Ich ging hindurch, ohne den Bereich zu betreten, wo der Tisch steht. Ist das von Bedeutung?»
«Sehr sogar. Der Tisch war für zwei gedeckt. Die Frage ist: Wen hat Ihre Frau zum Abendessen erwartet?»
«Ich habe keine Ahnung», antwortete Harwell. «Na ja, wenn ich raten sollte, würde ich sagen, es kann nur Amery gewesen sein.»
«Amery streitet ab, eingeladen worden zu sein.»
«Nun, vielleicht hat er einfach vorbeigeschaut. Sie war sehr gastfreundlich, wissen Sie, Wimsey.»
«Sie hatte bei Fortnum's Essen bestellt. Es machte den Eindruck, daß sie den Gast tatsächlich erwartet hatte, wer auch immer es war.»
«Also, ich kann nicht sagen, wer es war. Sie hatte Verehrer. Wo sie auch hinging, zog sie die Blicke auf sich.»
«Kann es vielleicht eine Freundin gewesen sein?» fragte Wimsey.
« Kann schon, nehme ich an», antwortete Harwell.
«Aber das glaube ich eigentlich nicht. Sie fühlte sich nicht wohl in der Gesellschaft von Leuten, die sie von früher kannten und sich noch an die Schande ihres Vaters erinnerten. Wir verkehrten vor allem mit Paaren, die wir nach unserer Heirat zusammen kennengelernt haben.»
«Ich deute nur ungern etwas an, das Ihnen weh tun muß», seufzte Wimsey an, «aber kann sie möglicherweise eine Freundschaft gepflegt haben, von der Sie nichts wußten?»
«Sicher kann das sein», antwortete Harwell. «Ich habe ihr doch nicht nachspioniert oder sie über alles, was sie tat, ver hört.»
«Darf ich fragen, ob Sie sich bereits ihre Korrespondenz angesehen haben? Es könnte sein, daß sich darin etwas findet, das uns weiterhilft.»
«Aber natürlich, lassen Sie uns nachsehen», rief Harwell. «Wenn Sie wollen, machen wir es gleich, jetzt sofort.»
Er stand auf und führte Wimsey in das Schlafzimmer. Darin standen Bett, Frisierkommode und Nachttische aus heller Eiche mit erbsengrünen Griffen. Auf dem Bett lag ein Überwurf aus Eau-de-Nil-farbenem Satin. Wimsey hatte in dieser sinnlichen Umgebung das deutliche Gefühl, ein Eindringling zu sein. Hinter dem Schlafzimmer lag Rosamunds Boudoir. Dort befand sich ein Spiegel, der wie in einer Theatergarderobe rundherum mit Glühlampen ausgestattet war, sowie ein kleiner Schreibtisch. Er war nicht verschlossen. Die beiden Männer nahmen den gesamten Inhalt heraus: einen goldenen Füller, einige Bögen Schreibpapier mit ihrem Briefkopf und passenden parfümierten Umschlägen, ein Liberty-Adreßbuch, etwa ein Dutzend Visitenkarten sowie einige Briefe. Sie gingen mit den Briefen zurück in Harwells Arbeitszimmer, breiteten sie auf den Schreibtisch aus und sahen sie sich gemeinsam an.
Die meisten davon waren belanglos. Nachrichten, die Termi
ne mit ihrem Schneider betrafen, ein Brief, in dem sich eine Freundin dafür bedankte, daß Rosamund ihr einige ihrer abgelegten Kleider geschenkt hatte, ein anderer mit einem Dank für eine Einladung zum Lunch. Eine in Rosamunds Handschrift gekritzelte Aufstellung über ihre Ausgaben für Garderobe – in einer Größenordnung, die sogar Wimsey den Atem stocken ließ. Und dann noch Briefe von Amery. Eine stattliche Anzahl, sie steckten in einer in Maroquin eingebundenen Schreibmappe. Offenbar hatte Rosamund jeden Fetzen Papier aufgehoben, den sie je von ihm erhalten hatte, denn ein paar davon bestanden tatsächlich aus kaum mehr als einer Zeile, mit der er seinen Wunsch, sie zu treffen, bestätigte. Aus einer versteckten Schublade an
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