Untitled
AUFGEHOBEN UND VERSTECKT. Das Fahrgeld, das sie erhalten hatte, lastete ebenfalls schwer auf ihrem Gewissen, bis sie es in eine Sammelbüchse der Heilsarmee steckte.
Die Erlebnisse an diesem Abend haben sie in große Unruhe versetzt, Mylord. Ich würde sagen, daß es sich bei ihr um eine außergewöhnlich dümmliche Person handelt, wenn ich nicht gleichzeitig im Auge behalten müßte, daß sie noch ein ganz junges Mädchen ist. Wie ich aus eigener Erfahrung weiß, Mylord, ist es für ein junges Mädchen sehr leicht, in Schwierigkeiten mit der Obrigkeit zu geraten.
Das Problem, vor dem die beiden jetzt stehen, Mylord, und dessentwegen sie mich um Rat ersuchten, ist folgendes: Was sollten sie nun mit dem Brief anfangen? Rose war dafür, ihn zu vernichten, aber Mary schreckt davor zurück, etwas zu tun, was sie, wenn die Sache je ans Licht kommen sollte, in noch größere Schwierigkeiten bringen würde. Der Mord hat den kleinen Ärger, den sie sich hätten einhandeln können, in eine sehr ernste Angelegenheit verwandelt. Als Eure Lordschaft Rose eingehend über den Essenskorb und den Tisch befragten, wurde ihr nur zu deutlich, wie tief die Grube war, die sie sich da gegraben hatte, und daß sie auch Mary in Verlegenheit bringen würde. Sie scheut jedoch davor zurück, ihr Gewissen zu erleichtern. Mein Eindruck ist, Mylord, daß sie mehr Angst vor ihren Eltern als vor der Polizei hat.
Wie auch immer, mir fiel ein, den beiden vorzuschlagen, daß sie den Brief Ihrer Obhut anvertrauen, Mylord. Sie fänden sicher einen Weg, wie das Beweisstück in die Hände der Polizei gelangen könnte, ohne daß irgendjemand in Hampton davon erfahren müsse, so meine Worte. Ich gab zu, entfernt mit Ihnen bekannt zu sein, und regte an, daß mir der Brief übergeben werde, so daß ich ihn dann gefahrlos an Sie weiterleiten könnte. Die beiden Mädchen gingen davon, um darüber nachzudenken.
Ich bleibe einen weiteren Tag hier, um abzuwarten, was sich ergibt.
Hochachtungsvoll
J. L. Mango
«Intelligente Dienstboten», murmelte Lord Peter Wimsey, «sind nicht mit Gold aufzuwiegen.»
Lady Peter Wimsey sendet ihre besten Empfehlungen an Miss Fanshaw und würde sich freuen, sie baldigst am Audley Square empfangen zu dürfen.
«Ich sollte es Ihnen gleich sagen», erklärte Miss Fanshaw zur Begrüßung, als Harriet den Salon betrat. «Ich habe Mervyns Antrag abgelehnt.»
«Das geht mich eigentlich nichts an», antwortete Harriet zögerlich. «Und es steht Ihnen vollkommen frei, mir zu sagen, ich solle mich da heraushalten.»
«Oh, es macht mir nichts aus, Ihnen meine Gründe offenzulegen», sagte Miss Fanshaw. «Wenn ich da irgendwelche Hemmungen hätte, wäre ich gar nicht erst hierhergekommen. Mir war vorher nicht bewußt, wie sehr es ihn quälen würde, wie wirklich schmerzhaft es für ihn sein würde, Lord Peter ade zu sagen. Ich meine, ich weiß natürlich, daß es ein seltenes Glück ist, für anständige Herrschaften in einer guten, gesicherten Stellung zu arbeiten. Ich hatte nur nicht erwartet, daß es eine Herzensangelegenheit ist, wenn Sie verstehen, was ich meine.»
«Das verstehe ich genau. Peter nimmt es ebenso schwer. Sie geistern beide hier im Haus herum wie verwundete Gespenster, die unsichtbar bluten.»
«Tja, damit können sie nun aufhören», meinte Miss Fanshaw. «Ich habe meine Meinung geändert. Mervyn kann ruhig bleiben, wo er ist.»
«Ich bin mir nicht sicher, ob sich dadurch der ursprüngliche Zustand wiederherstellen läßt.» Harriet meldete Zweifel an. «Ganz abgesehen davon, daß es sich so anhört, als ob es Ihnen beiden sehr schwerfiele.»
«Ich habe schon so einiges gesehen», erwiderte Miss Fanshaw. «Ich halte es für keine gute Idee, eine Ehe einzugehen, wenn man im Vorfeld enorme Opfer bringen muß. Das verleiht dem Davor ein zu großes Gewicht. Statt jemanden einfach nur glücklich zu machen, müßte man den anderen in einem solchen Maß glücklich machen, daß es das Verlorene aufwiegt. Und irgendwie bleiben die Verluste und die Gewinne in der Bilanz doch immer in zwei verschiedenen Spalten stehen – das eine macht das andere nicht wett.»
«Ein sehr vernünftiger Standpunkt», bemerkte Harriet.
«Finden Sie? Meine Mutter sagt, ich hätte ein kaltes Herz. Aber ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß Mervyn um meinetwillen etwas tut, wofür ich ihm auf ewig dankbar sein muß. Ich schätze, ich bin im Grunde kein dankbarer Mensch.»
«Ich auch nicht!» rief Harriet. «Schauen Sie, ich
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