Untitled
aber, verstehst du, wo die Notwendigkeit weggefallen ist, heißt es nur noch Schreiben um des Schreibens willen. Und außerdem, natürlich, ist es auch schwer. Es war schon immer schwer, und es wird immer schwerer. Und wenn ich einmal feststecke, dann denke ich, ich muß ja meine Miete nicht mehr davon bezahlen, und es ist auch keine Kunst, es sind lediglich Kriminalgeschichten. Man liest und schreibt sie nur zum Spaß.»
«Du unterschätzt dich selbst, Harriet. Ich hätte nicht gedacht, dich je so sprechen zu hören.»
«Normalerweise bin ich also stolz und eingebildet, willst du das sagen?»
«Stolz auf dein Können, ja.»
«Aber das ausgefeilteste und meisterlichste Können begegnet uns manchmal in den allerfrivolsten Dingen, Peter», mahnte sie ihn. «Sieh nur einmal deine Manschettenknöpfe an.»
Es handelte sich um Jadeknöpfe, in die die Wimsey
Wappenmäuse eingraviert waren. «Frivolität kann einem auch das Leben angenehmer machen», sagte er milde.
«Aber mir gefällt nicht, daß du Kriminalgeschichten als Frivolitäten bezeichnest.»
«Ja, sind sie es denn nicht? Verglichen mit dem Echten, Wahren?»
«Was ist für dich denn das Echte, Wahre?»
«Große Literatur: Das verlorene Paradies , Romane wie Große Erwartungen oder Schuld und Sühne und Krieg und Frieden. Oder, auf der anderen Seite, echte Detektivarbeit, wo man es mit echten Verbrechen zu tun hat.»
«Es scheint, du bringst der Bedeutung deines Genres nicht die gebührende Wertschätzung entgegen», stellte er fest. «Kriminalgeschichten bergen den Traum von Gerechtigkeit in sich. Sie entwerfen die Vision von einer Welt, in der das Unrecht wiedergutgemacht wird und wo man den Bösen auf die Schliche kommt, aufgrund von Spuren, die sie hinterlassen, ohne es zu merken. Eine Welt, in der die Mörder gefaßt und gehenkt werden und die unschuldigen Opfer gerächt, was weiteren Morden eine Warnung erteilt.»
«Aber es bleibt doch lediglich bei der Vision, Peter. Die Welt, in der wir leben, sieht nicht so aus.»
«Manchmal aber doch», sagte er. «Und nebenbei, ist es dir noch nicht in den Sinn gekommen, daß eine Vision gar nicht real sein muß, um einen guten Zweck zu erfüllen?»
«Aber welches Gute könnte wohl durch Unwahrheit errungen werden?»
«Nicht Unwahrheit, Harriet, Idealismus. Kriminalgeschichten halten eine Sicht von der Welt aufrecht, die die wahre Sicht sein sollte. Es stimmt natürlich, daß die Leute sie zum Spaß lesen, zur Zerstreuung, genauso, wie sie Kreuzworträtsel lösen. Aber tief im Innern stillen sie dabei ihren Hunger nach Gerech tigkeit – und gnade uns Gott, wenn die gewöhnlichen Leute den nicht mehr verspüren.»
«Du meinst, sie funktionieren nach demselben Mechanismus wie die Märchen, die Stiefmütter davon abhalten, böse zu sein, und den kleinen Aschenputteln allüberall Trost zusprechen?»
«Wenn du so willst. Oder so, wie der Glaube an Gespenster funktioniert hat. Man glaubt, der Geist des Großvaters könne einen verfolgen, wenn man sich nicht an dessen letzten Willen hält. Oder man glaubt, die Geister der Ermordeten gehen in der Nacht um, weil es sie nach Rache dürstet.»
«Deine Sicht auf diese Dinge ist schon wirklich eigen, Peter.»
«Ich schätze, daß die ganz Schlauen ihre Vision von Gerechtigkeit wohl aus der Lektüre von Dostojewski beziehen können», erwiderte er. «Aber von denen gibt es nicht genug, als daß sie die öffentliche Meinung bestimmen könnten. Gewöhnliche Leute, und zwar viele, lesen das, was du schreibst.»
«Aber was sie suchen, ist nicht der Geist der Aufklärung. Dazu sind sie viel zu träge. Alles, was sie wollen, ist eine spannende Geschichte, in die ein bißchen Nervenkitzel und ein paar überraschende Wendungen eingebaut sind.»
«Du unterläufst ihr wachsames Auge», erklärte er.
«Wenn sie den Eindruck hätten, daß ihnen jemand predigen will, dann würden sie sich die Ohren zustopfen. Wenn sie den Eindruck bekämen, du legst es darauf an, die Menschheit zu verbessern, dann nähmen sie das Buch vermutlich nie zur Hand. Indem du ihnen lediglich reine Unterhaltung anbietest, führst du ihnen mit dieser Finte die wohlgeordnete Welt vor, in der zu leben unser aller Trachten sein sollte.»
«Meinst du das ernst?», fragte sie.
«Ich war nie weniger zu Scherzen aufgelegt, Domina. Deine Berufung ist für mich keinen Deut frivoler, als es meine für dich ist. Ganz offensichtlich schätzen wir uns gegenseitig hö her als jeder von uns sich selbst. Das klingt
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