Untitled
nach keinem schlechten Rezept: Selbstachtung ohne Eitelkeit.»
«Es lebe die Frivolität?»
«So lange wir sie uns leisten können», sagte er mit plötzlich düsterer Miene. «Ich wünschte, die Deutschen wären süchtig nach deiner Form der leichten Lektüre.»
10
Den Lebenden schulden wir Respekt; den Toten nur die Wahrheit.
VOLTAIRE
«Irgendwas ist eigenartig an diesem Fall», sagte Chief Inspector Parker zu seinem Besucher. «Jeder einzelne war davon mitgenommen. Der Tod des Opfers hat in aller Welt nur Bestürzung ausgelöst.»
«Ja, du hast recht», pflichtete ihm Peter Wimsey bei, der in dem abgewetzten Ledersessel im Büro des Chief Inspectors saß.
«Normalerweise stellt sich heraus, daß das Mordopfer nicht besonders beliebt war», meinte Charles. «Es gibt fast immer irgendwelche Leute, denen es alles andere als leid tut, daß der Verstorbene ihnen nun nicht mehr in die Quere kommen wird, auch wenn sie sich im Regelfall nicht so weit vergessen, das offen zuzugeben. Genauso gibt es normalerweise auch irgendwelche Leute im Umfeld, die ein Motiv haben, das Opfer lieber tot zu sehen. Oder das Opfer ist jemand ohne Freunde, eine leichte Beute bei einem Überfall.»
«Hier hingegen hast du es mit einer reichen, vielgeliebten Frau zu tun, deren Tod jeden, der sie kannte, am Boden zerstört zurückläßt, unfähig, seine Trauer zu artikulieren –? Was sagt dir das, Charles?»
«Nun, es könnte der Theorie, daß der Sunbury-Killer der Täter ist, etwas Würze verleihen. Eine so willkürliche Tat könnte gut jemanden treffen, der keine Feinde hat.»
«Könnte. Aber Harriet hat mir gesagt, wenn wir uns so etwas in einem Kriminalroman einfallen ließen, dann würde es nie mand glauben. Das ist ein Argument, oder?»
«Ich lese leider keine Kriminalromane», sagte Charles steif.
«Nein, du nicht. Na ja, diese ganzen theologischen Wälzer sind deiner moralischen Erbauung vielleicht ähnlich zuträglich», gestand Wimsey zu. «Apropos, was hattest du für einen Eindruck von Mr. Warrens Erpressern?»
«Er selbst jedenfalls hielt sie offensichtlich für authentisch. Er hatte wirklich Angst.»
«O ja, der arme alte Trottel.»
«Aber wenn es in einem Erpressungsfall zu einem solchen Gewaltausbruch kommt, dann ist es erfahrungsgemäß fast immer das Opfer, das den Peiniger angreift, und nicht umgekehrt.»
«Es wäre aber vielleicht doch denkbar», sagte Wimsey in Gedanken. «Stell dir vor, die Geldquelle versiegt langsam, und der Erpresser will die Daumenschrauben ein bißchen anziehen. Also beschließt er oder beschließen sie, der lieben Rosamund ein wenig angst zu machen, vielleicht, ihr ein Andenken zu verpassen. Hat Warren nicht gesagt, sie drohten, sie zu verunstalten? Und dann geht alles schief.»
«Wenn sie Mrs. Harwell nur hätten verunstalten wollen, dann hätten sie ein Messer benutzt, oder ein Feuerzeug», wandte Parker ein.
«Wenn sie sie nur hätten einschüchtern wollen, und haben dann aber einen Moment zu lange zugedrückt, oder an der falschen Stelle …»
«Möglich wäre es. Ich glaube übrigens, daß sie tatsächlich in Hampton waren, weil Warrens Beschreibung recht gut auf einen der Fahrgäste paßt, die dem Bahnsteigschaffner aufgefallen sind. Mit der Beschreibung haben wir eine Fahndung nach einem solchen Pärchen gestartet. Wenn sie uns unterkommen sollten, können wir sie verhören, aber ich glaube nicht …» «Ich auch nicht», sagte Wimsey.
«Inzwischen haben wir noch etwas anderes erfahren. Wir ha
ben die Aussage des Nachtpförtners von Hyde House aufgenommen, ein Mr. Jason, und dabei ist ihm plötzlich eingefallen, daß gegen fünf jemand zu Mrs. Harwell wollte. Zu der Zeit war er selbst noch nicht im Dienst. Er hat auf eine Tasse Tee und einen Schwatz beim Pförtner von der Tagesschicht hereingeschaut. Der hat den Besucher, der nach Mrs. Harwell fragte, in die Halle gelassen. Man informierte ihn also darüber, daß Mrs. Harwell ein paar Tage verreist war, und das versetzte den Gast offenbar in ziemliche Aufregung. Er sagte, er sei ein Freund des Hauses und hätte eine dringende Nachricht für sie, und wollte die Adresse haben, wo er sie erreichen könne. Der Pförtner von der Tagesschicht war sich nun nicht sicher, ob er sie herausgeben sollte, und beriet sich mit Mr. Jason. Die beiden kamen zu dem Schluß, daß man dem Gentleman, der ganz anständig aussah, die Adresse ruhig geben könne. Mr. Jason hatte sich zu diesem Zeitpunkt nichts dabei gedacht, erst, als wir ihn
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