Untitled
wolltest doch Oliven und Sardellen, stimmt's?«, neckte ich sie, als ich die Pizzaschachtel aufmachte.
»Das haben Sie falsch verstanden, Mr Pizzabote. Bringen Sie diesen ekligen Kuchen lieber gleich zurück in den Laden, wenn diese widerlichen, schleimigen kleinen Sardellen drauf sind«, sagte sie und warf mir einen bösen Blick zu, den sie sich von ihrer Urgroßmutter abgeguckt haben musste.
»Er zieht dich nur auf«, sagte Nana und schenkte mir eine sanftere Version des bösen Blicks.
Jannie zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich, Nana. Ich meine es ja auch nicht ernst. Das ist nun mal unsere Sache: Was du willst, das mache! « Sie sang den alten Schlager und lächelte.
»Ich mag Sardellen«, erklärte Damon, nur um zu widersprechen. »Sie sind so schön salzig.«
»Wundert mich bei dir nicht.« Jannie betrachtete ihren Bruder mit gerunzelter Stirn. »Ich glaube, du warst in einem früheren Leben 'ne Sardelle.«
Wir lachten so wie immer, als wir uns auf die Pizza mit der Extraportion Käse stürzten. Wir erzählten uns, wie wir den Tag zugebracht hatten. Jannie stand wieder im Mittelpunkt. Ausführlich beschrieb sie ihre zweite Kernspintomographie, die eine halbe Stunde gedauert hatte. Dann erklärte sie: »Ich habe beschlossen, Ärztin zu werden. Meine Entscheidung ist endgültig. Wahrscheinlich gehe ich auf die John-Hopkins-Universität, wie Daddy.«
Gegen zwanzig Uhr standen Nana und Damon auf, um nach Hause zu fahren. Sie waren seit kurz nach drei Uhr im Krankenhaus, seit Damon aus der Schule gekommen war.
»Daddy bleibt noch eine Weile, weil er arbeiten musste, und weil ich noch nicht genug von ihm gehabt hab«, erklärte Jannie. Sie gab Nana einen Wink, sie zu umarmen. Beide hielten sich lange fest. Nana flüsterte Jannie etwas Vertrauliches ins Ohr, und diese nickte zum Zeichen, dass sie verstanden hatte.
Dann winkte Jannie ihren Bruder ans Bett. »Gib mir einen dicken Kuss und drück mich«, befahl sie.
Nach vielen Verabschiedungen, nochmaligem Winken, tapferem Lächeln und einer Unzahl Versprechen, morgen wiederzukommen, gingen Damon und Nana. Jannie saß strahlend da, mit nassen Wangen. Sie lächelte und weinte zugleich.
»Eigentlich gefallt mir das«, sagte sie. »Ihr wisst, dass ich im Mittelpunkt stehen muss . Und jetzt könnt ihr alle aufhören, euch Sorgen zu machen. Ich werde Ärztin. Ja, von jetzt an könnt ihr mich alle Dr. Jannie nennen.«
»Gute Nacht, Dr. Jannie. Träum was Schönes«, sagte Nana von der Tür her. »Bis morgen, mein Schatz.«
»Gute Nacht«, sagte Damon. Er drehte sich beiseite, schaute dann aber noch einmal zu ihr hinüber. »Ach ja, richtig – Dr. Jannie .«
Nachdem Damon und Nana gegangen waren, saßen wir eine Zeit lang schweigend da. Dann ging ich zu ihr und legte den Arm um sie. Ich glaube, die Abschiedsszene war für uns beide zu viel gewesen. Ich setzte mich auf die Bettkante und hielt sie so fest, als würde sie zerbrechen. So verharrten wir lange. Dabei redeten wir ein bisschen, aber die meiste Zeit hielten wir uns einfach in den Armen.
Ich war erstaunt, als ich sah, dass Jannie in meinen Armen eingeschlafen war. Und endlich weinte auch ich.
I ch blieb die ganze Nacht bei Jannie im Krankenhaus. So traurig war ich noch nie zuvor gewesen, und ich hatte auch noch nie so große Angst gehabt. Ich schlief, wenn auch nicht viel. Ich dachte über die Banküberfälle nach, aber nur ein wenig – nur um meine Gedanken abzulenken. Unschuldige Menschen waren auf entsetzliche Weise ermordet worden, und das hatte mich und alle anderen bis ins Mark getroffen.
Ich dachte auch an Christine. Ich liebte sie; dagegen konnte ich nichts tun. Aber ich war sicher, dass ihre Entscheidung unumstößlich war und dass ich ihre Meinung nicht mehr würde ändern können. Sie wollte nicht mit einem Detective zusammenleben, der bei der Mordkommission arbeitete. Und zu einer anderen Arbeit war ich vermutlich nicht fähig.
Gegen fünf Uhr waren Jannie und ich wieder wach. Von ihrem Zimmer aus blickte man auf eine große Sonnenterrasse und einen kleinen Blumengarten. Still saßen wir da und beobachteten durchs Fenster den Sonnenaufgang. Er war so wunderschön, so heiter, dass ich wieder todtraurig wurde. Und wenn das nun unser letzter gemeinsamer Sonnenaufgang war? Ich wollte nicht so denken, aber ich konnte nicht anders.
»Mach dir keine Sorgen, Daddy«, sagte Jannie. Sie las in meinem Gesicht. Manchmal war sie eine kleine Zauberin. »Es wird in meinem Leben noch viele
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