Untitled
Schande. So ein Verlust. Wissen Sie, er war FBI-Agent.«
Das wusste ich. Ich holte tief Luft und ging in das bescheidene Haus, in dem Walsh gelebt hatte und gestorben war. Das FBI war zahlreich vertreten, ebenso die örtliche Polizei. Weil ein FBI-Mann gestorben war, hatte man die Einsatztruppe für
Gewaltverbrechen aus Quantico hinzugezogen.
Ich sah Agent Mike Doud und ging zu ihm. Doud war aschfahl und schien kurz davor, sich zu übergeben.
»Tut mir Leid«, sagte ich. Doud war eng mit Walsh befreundet gewesen. Er wohnte in der Nähe in einem Vorort.
»O Gott, James hat nie etwas gesagt. Um Himmels willen, ich war sein bester Freund.«
Ich nickte. »Was wissen Sie bisher? Was ist passiert?«
Doud zeigte zum Schlafzimmer. »James ist da drin. Ich nehme an, er hat Selbstmord begangen, Alex. Er hat eine Nachricht hinterlassen. Aber es ist unfassbar.«
Ich ging durch das spärlich möblierte Wohnzimmer. Aus mehreren Gesprächen wusste ich, dass Walsh vor etlichen Jahren geschieden worden war. Er hatte einen sechzehnjährigen Sohn in einem Internat und einen auf Holy Cross, wo Walsh einst selbst gewesen war.
James Walsh lag im Badezimmer, das vom Schlafzimmer aus zugänglich war. Er lag verkrümmt auf dem eierschalenfarbenen Fliesenboden, inmitten einer großen Blutlache. Als ich eintrat, sah ich, was von seinem Hinterkopf noch übrig war.
Doud trat hinter mich. Er hielt den Abschiedsbrief in der Hand, den man in eine der Plastiktüten gelegt hatte. Ich las ihn, ohne ihn aus der Hülle zu entfernen. Der Brief war an die beiden Söhne Walshs gerichtet.
Mir ist alles über den Kopf gewachsen:
Die Arbeit. Der Fall. Alles andere.
Andrew, Peter, es tut mir aufrichtig Leid.
Es ist alles zu viel für mich.
In Liebe
Euer Dad.
Ein Handy klingelte. Ich zuckte überrascht zusammen. Es war Douds Telefon. Er nahm den Anruf entgegen, reichte dann aber
mir das Handy. »Betsey«, sagte er.
»Ich bin auf dem Weg zum Flughafen. Warum hat er so was gemacht, Alex?«, hörte ich ihre Stimme. Offensichtlich war sie noch in New York. »Der arme James. Weshalb sollte er sich umbringen? Ich kann es nicht glauben. Er war nicht der Typ.«
Dann schluchzte sie laut ins Telefon, und obgleich sie weit entfernt war, fühlte ich mich ihr näher als je zuvor.
Ich sagte nicht, was ich dachte. Ich behielt es für mich – und dabei lief es mir eiskalt über den Rücken. Vielleicht war Betseys spontane Reaktion richtig. Vielleicht hatte James Walsh gar nicht Selbstmord begangen.
I ch kehrte am Montagmorgen früh nach New York City zurück. Für neun Uhr war eine Besprechung im FBIHauptquartier in Manhattan angesetzt, und ich kam gerade noch pünktlich. Ich behielt meine Gedanken für mich und bemühte mich, nicht den Eindruck zu erwecken, als wäre etwas nicht in Ordnung.
Ich ging mit Sonnenbrille in das Besprechungszimmer. Betsey musste gefühlt haben, dass ich da war. Sie blickte von den Aktenbergen auf und nickte mit ernster Miene. Ich sah deutlich, dass sie einen Großteil der Nacht damit verbracht hatte, über Walsh nachzudenken. Ich ebenfalls.
Ich setzte mich auf einen freien Stuhl, als ein Anwalt vom Justizministerium gerade die Gruppe begrüßte. Er war Mitte fünfzig, steif und feierlich, nahezu ohne jegliche persönliche Ausstrahlung. Er trug einen glänzenden anthrazitfarbenen Anzug mit schmalem Revers, der mindestens zwanzig Jahre alt zu sein schien.
»Mit Brian Macdougall wurde ein Abkommen getroffen«, erklärte er den Anwesenden.
Ich blickte zu Betsey hinüber. Sie schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen. Sie wusste schon Bescheid.
Ich konnte es nicht fassen. Ich lauschte konzentriert auf jedes Wort aus dem Mund des Anwalts vom Justizministerium.
»Sie dürfen über nichts sprechen, was hier im Raum diskutiert wurde. Wir geben kein Wort an die Presse weiter. Detective Macdougall hat sich einverstanden erklärt, mit den Ermittlern über den Gesamtplan und die Ausführung der Geiselnahme bei MetroHartford zu sprechen. Er hat wertvolle Informationen, die zur Ergreifung eines äußerst wichtigen unbekannten Verdächtigen führen könnten, dem so genannten Superhirn.«
Ich war völlig geschockt, so als wäre ich um ein Haar auf eine Mine getreten. Ich kam mir verarscht vor. Das verdammte Justizministerium hatte übers Wochenende den Handel abgeschlossen – und ich hätte alles darauf verwettet, dass Macdougalls Forderungen erfüllt worden waren. Mir war übel, aber so arbeitete die Justiz schon, seit
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