Untitled
seine Monatskarte für den Bus sein können. »Wir gehen Informationen über eine Person nach, die wir gern sprechen würden, bevor es zu einem weiteren Verbrechen kommt. Wir glauben, daß Sie uns bei unseren Nachforschungen helfen können.«
»Es ist wegen Oliver, Mum!« krächzte Sammy mit heiserem Flüstern links neben ihr, und fast wäre Elsie zu ihm herumgefahren und hätte ihm gesagt, er solle seinen dummen Mund halten. Sie machte die Türkette ab, und die beiden Polizisten traten einer dicht hinter dem andern in den Flur. Das war seine Exfrau, die hat ihm wegen der Unterhaltszahlungen die Polizei auf den Hals gehetzt, dachte sie. Er ist mal wieder auf Sauftour und hat jemanden verprügelt. Sie sah Oliver zusammengekrümmt auf der Seite liegen, wie sie ihn damals auf dem Fußboden seines Zimmers gefunden hatte und er auf eine Gefängniswand starrte.
Der eine Polizist nahm seinen Hut ab. Triefaugen wie ein Trinker. Schämt sich irgendwie über sich selbst. Aber dem glänzenden Glatzkopf war Scham vollkommen unbekannt. Er hatte das Gästebuch der Pension entdeckt, beugte sich darüber und blätterte darin herum, als sei es sein Eigentum. Brutale Schultern. Arsch zu schmal für den Rest.
»West heißt der Mann«, sagte der kahle Constable, beleckte seinen Daumen und schlug eine Seite um. »Kennen Sie einen West?«
»Ich nehme an, ab und zu hatten wir mal einen. Der Name ist ja ziemlich verbreitet.«
»Zeig´s ihr«, sagte der Constable und blätterte weiter, während der Sergeant mit dem Hut einen Pergamentpapierumschlag aus der Brieftasche nahm und ihr ein Foto von Oliver zeigte, auf dem er aussah wie Elvis Presley - onduliertes Haar und verqollene Lider, ein Foto aus der Zeit, als er noch tat, wovor auch immer er dann davongelaufen war. Sammy stand auf den Zehenspitzen, um auch was zu sehen, und sagte: »Ich auch, ich auch.«
»Vorname Mark«, sagte der Sergeant. »Mark West. Einsdreiundachtzig, dunkles Haar.«
Elsie Watmore bestand nur aus Instinkt, sie dachte an Olivers erstickte Anrufe, die ihr wie SOS-Rufe von einem sinkenden Schiff vorgekommen waren: Wie geht es Ihnen, Elsie, wie geht es Sammy? Mir geht´s gut, Elsie, um mich brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, ich komme bald zurück. Sammy bettelte jetzt »Zeigen, zeigen« und schnippte ihr mit den Fingern unter der Nase herum.
»Das ist er nicht«, sagte sie heiser; es klang wie eine offizielle Erklärung, die sie zu oft geprobt hatte.
»Wer nicht?« sagte der Glatzkopf; er hatte sich aufgerichtet und dicht vor ihr aufgebaut. »Wer ist das nicht?«
Seine Augen waren wasserhell und leer, und diese Leere machte ihr angst: das Wissen, daß jede Freundlichkeit an sie vergeudet war. Wenn er beim Tod seiner eigenen Mutter dabei wäre, würde er auch nicht anders aussehen, dachte sie. »Ich kenne den Mann auf diesem Foto nicht, also ist er es nicht, stimmt´s?« sagte sie und gab ihm das Bild zurück. »Sie sollten sich was schämen, mitten in der Nacht bei anständigen Leuten reinzuplatzen.«
Sammy konnte es nicht mehr ertragen, so ausgeschlossen zu sein. Er wühlte sich aus ihrem Morgenrock hervor, trat auf den Sergeant zu und streckte ihm kühn die Hand entgegen. »Sammy, du gehst jetzt ins Bett, bitte. Wird´s bald. Du mußt morgen früh zur Schule.«
»Zeig´s ihm«, befahl der Constable, nur daß seine Lippen sich nicht bewegten. Ein Constable, der einem Sergeant Befehle gab.
Der Sergeant gab Sammy das Foto, und Sammy machte sich mit viel Theater daran, es zu prüfen, erst mit einem Auge, dann mit beiden.
»Nein, das ist nicht Mark West«, erklärte er und schob es dem Mann wie Falschgeld in die Hand zurück, dann stapfte er ohne sich umzusehen die Treppe rauf ins Bett.
»Wie wär´s mit Hawthorne?« fragte der Kahlkopf, der sich
wieder das Gästebuch vorgenommen hatte. »O. Hawthorne.
Wer ist das?«
»Das ist Oliver«, sagte sie.
»Und?«
»Oliver Hawthorne. Der wohnt hier. Ein Unterhaltungskünstler.
Für Kinder. Onkel Ollie.«
»Ist er jetzt hier?«
»Nein.«
»Wo denn?«
»Nach London gefahren.«
»Wozu?«
»Zum Arbeiten. Er hatte dort einen Termin. Bei einem alten Kunden. Eine Sonderveranstaltung.« »Wie wär´s mit Single?«
»Wieso fragen Sie mich dauernd ›Wie wär´s‹? Ich weiß nicht, was diese Fragerei bedeuten soll. Single? Hat das nicht irgendwas mit Sport zu tun?« Endlich war sie wütend. Eindeutig und heftig wütend, wie es am besten für sie war. »Sie haben nicht das Recht. Sie haben keinen Haftbefehl. Gehen
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