Untitled
der Betrachtung des Leichnams zu.
Der Konsul gab die Frage an den Kommissar weiter. »Durch eine Kugel«, teilte er Brock nach einem schnellen Wortwechsel mit. »Er hat sich erschossen. Kugel in den Kopf.«
Wieder hob Brock den Kopf, erst sah er den Konsul an, dann den Kommissar. Seine Augen mit den faltigen Winkeln wirkten auf den ersten Blick gutmütig. Auf den Konsul aber auch beunruhigend.
»Aha. Na schön. Danke, Harry, das überzeugt mich.« Brock schien zunächst unsicher, ob er weitersprechen sollte, wagte es dann aber doch. »Nur, wenn wir die Theorie des Kommissars ernsthaft betrachten sollen, Harry, was wir zweifellos tun, dann müßte er uns vielleicht einmal erklären, wie jemand sich eine Kugel in den Kopf jagen kann, wenn ihm die Hände mit Handschellen auf den Rücken gefesselt sind; denn ich jedenfalls habe keine andere Erklärung für die wunden Stellen an den Handgelenken unseres Freundes. Wollen Sie ihm diese Frage bitte übermitteln, Harry? Ich muß schon sagen, Ihr Türkisch ist wirklich ausgezeichnet.«
Wieder der Konsul und der Kommissar, letzterer sehr aktiv mit Händen und Augenbrauen, während seine Augen hinter der Sonnenbrille verborgen blieben.
»Die Fesselspuren an den Handgelenken unseres Freundes waren bereits da, als er in Dalaman aus dem Flugzeug stieg«, dolmetschte der Konsul korrekt. »Der Kommissar hat einen Zeugen, der das bestätigen kann.«
»Aus welchem Flugzeug, bitte, Harry?«
Der Konsul legte Brocks Frage dem Kommissar vor. »Die Abendmaschine aus Istanbul«, sagte er.
»Die Linienmaschine? Die normale Linienmaschine?« »Turkish Airlines. Der Name unseres Freundes steht auf der Passagierliste. Der Kommissar kann sie Ihnen gern zeigen.« »Und ich möchte sie gern sehen, Harry. Sagen Sie ihm bitte, daß ich von seiner Sorgfalt sehr beeindruckt bin.«
Der Konsul sagte es ihm. Der Kommissar nahm Brocks Kompliment entgegen und fuhr mit seiner Aussage fort, die der Konsul übersetzte. »Bei dem Zeugen des Kommissars handelt es sich um eine Krankenschwester, die im Flugzeug neben unserem Freund gesessen hat. Sie ist die beste Krankenschwester hier in der Gegend, und die beliebteste. Der Zustand der Handgelenke unseres Freundes hat sie so beunruhigt, daß sie ihn gebeten hat, sich nach der Landung von ihr in eine Klinik bringen und dort verbinden zu lassen. Er hat
sich geweigert. Er war betrunken. Er hat sie betrunken von sich
geschoben.«
»Du liebe Zeit.«
Um die von ihm geschilderte Szene zu veranschaulichen, zog der Kommissar auf der Plattform auf der anderen Seite der Wanne alle Register seiner Schauspielkunst: Winser, wie er wenig graziös in seinem Sitz hing; Winser, wie er die wohlmeinende Krankenschwester barsch von sich wies; Winser, wie er drohend den Ellbogen gegen sie erhob. »Ein zweiter Zeuge, der mit unserem Freund im Bus vom Flughafen Dalaman hierher gefahren ist, sagt genau dasselbe aus«, erklärte der Konsul, nachdem der Kommissar sich wieder ausgelassen hatte.
»Ach, er ist mit dem Bus gekommen?« unterbrach ihn Brock vergnügt wie jemand, dem eine Erleuchtung gekommen ist. »Eine Linienmaschine, ein Linienbus. Schön, schön. Der Topanwalt einer großen Bank im Londoner West End benutzt öffentliche Verkehrsmittel. Das klingt ja sehr erfreulich. Vielleicht kaufe ich mir doch mal Aktien dieses Hauses.« Aber der Konsul ließ sich nicht ablenken: »Unser Freund und dieser zweite Zeuge haben nebeneinander auf der Rückbank des Busses gesessen. Der zweite Zeuge ist Polizist im Ruhestand, der beliebteste Polizist hier am Ort, er ist wie ein Vater zu den Bauern hier, das will schon was heißen. Er hat unserem Freund frische Feigen aus einer Papiertüte angeboten. Der Kommissar besitzt von diesen beiden wichtigen Zeugen beeidete und unterschriebene Aussagen, desgleichen von dem Busfahrer und von der Stewardess im Flugzeug.« Der Kommissar hatte eine verbindliche Pause eingelegt, falls der vornehme Herr aus London eine Frage hatte. Aber Brock hatte offenbar keine, und sein Lächeln bekundete nichts als stumme Bewunderung. Davon ermutigt, stellte sich der Kommissar vor Winsers marmorierte Füße und wies pedantisch mit dem Zeigefinger auf die zerschundenen Handgelenke. »Im übrigen stammen diese Abdrücke nicht von türkischen Handschellen«, erklärte der Konsul ohne jeden Anflug von Humor. »Türkische Handschellen unterscheiden sich von anderen, weil sie menschlicher gestaltet sind, weil sie mehr Rücksicht auf den Gefangenen nehmen. Lachen Sie
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