Untitled
würde ich sagen.« Unaufgefordert platzt Oliver mit einer Frage heraus. Weder der mürrische Tonfall noch die aggressive Formulierung ist beabsichtigt. Wenn er könnte, würde er die Frage rückgängig machen, aber dafür ist es zu spät. Ein vage vertrautes Gespenst ist über ihn gekommen. Es ist der Rest seines Rechtsempfindens nach drei Monaten im Hause Single. »Darf ich hier mal für eine Sekunde unterbrechen, Alix? Was genau hat das Haus Single mit all dem zu tun? Verlangt man von uns die Zahlung von fünfzig Millionen Dollar an Bestechungsgeldern?«
Oliver kommt sich vor wie jemand, der in der Kirche, beim Verklingen der letzten Orgeltöne, unabsichtlich einen lauten Furz gelassen hat. Ein ungläubiges Schweigen erfüllt den Curzon Street sechs Stockwerke unter ihnen hat aufgehört. Tiger, als sein Vater und Seniorpartner, kommt ihm zu Hilfe. Sein Tonfall ist freundlich und anerkennend.
»Ein wichtiger Punkt, Oliver, und tapfer vorgetragen, wenn ich so sagen darf. Nicht zum erstenmal kann ich nicht umhin, deine Integrität zu bewundern. Selbstverständlich kennt das Haus Single keine Bestechung. Das ist ganz und gar nicht unser Stil. Wenn rechtmäßige Provisionen zu zahlen sind, werden diese nach Ermessen unseres Geschäftspartners vor Ort geleistet - in diesem Fall ist das unser lieber Freund Jewgenij -, und zwar mit gebührendem Respekt vor den Gesetzen und Traditionen des Landes, in dem dieser Geschäftspartner tätig ist. Die Einzelheiten sind seine Sache, nicht unsere. Natürlich wird Single, wenn ein Geschäftspartner knapp bei Kasse ist - nicht jeder kann über Nacht fünfzig Millionen Dollar auftreiben -, über die Vergabe eines Darlehens nachdenken, das den Partner in die Lage versetzt, nach seinem Ermessen zu handeln. Ich halte es für enorm wichtig, auf diesen Punkt hinzuweisen. Und ich finde es absolut richtig und anständig von dir, daß du in deiner heutigen Eigenschaft als unser Rechtsberater darauf hingewiesen hast. Ich danke dir. Wir alle danken dir.« Massinghams heiseres »Hört, hört!« versetzt Oliver den Todesstoß, während Tiger nun ein Loblied auf das großartige Haus Single anstimmt. »Single sagt ja, wo andere nein sagen, Oliver. Wir haben Visionen. Know-how. Energie. Wir haben die Mittel. Für alles, was wahrer Abenteuergeist ersinnen kann. Der alte Eiserne Vorhang hat Jewgenij nicht den Kopf verdreht auch früher nicht, stimmt´s, Jewgenij?« - am Rand seines getrübten Blickfelds sieht Oliver das geschorene Haupt Jewgenij Orlows langsam hin und her wackeln - »Er ist ein Freund Georgiens. Er liebt die Schönheit und die Kultur dieses Landes. Georgien kann sich einiger der ältesten christlichen Kirchen der Erde rühmen. Ich nehme an, das hast du nicht gewußt, oder?« »Nicht direkt.«
»Jewgenij träumt von einem Gemeinsamen Markt im Kaukasus.
sagenhafte natürliche Ressourcen. Er ist ein Pionier. Das sind Sie doch, stimmt´s, Jewgenij? Genau wie wir. Natürlich ist er das. Randy, übersetzen Sie das bitte. Gut gemacht, Oliver. Ich bin stolz auf dich. Das sind wir alle.«
»Hat das Konsortium einen Namen? Existiert es bereits?« fragt Oliver, während Massingham dolmetscht.
»Nein, Oliver, weder noch«, antwortet Tiger mit seinem wetterfesten Lächern. »Aber wenn du dich ein wenig in Geduld üben kannst, wird es sehr bald soweit sein.«
Aber noch während dieses quälenden Wortwechsels - quälend für Oliver, für sonst niemanden - fühlt er sich wie von einem Magneten in eine unerwartete Richtung gezogen. Alle sehen Oliver an, doch Jewgenijs listiger Blick ist wie ein Schiffstau an ihm befestigt, zerrt an ihm, prüft sein Gewicht, taxiert ihn - und schätzt ihn, davon ist Oliver überzeugt, richtig ein. Aus dem Nichts heraus erkennt er Jewgenijs guten Willen. Seltsamer noch, Oliver hat das Gefühl, am Wiederbeginn einer alten und natürlichen Freundschaft teilzunehmen. Er sieht einen kleinen Jungen in Georgien, der alles um sich her gern hat, und dieser Junge ist er selbst. Er empfindet offene Dankbarkeit für Geschenke, die er bewußt nie empfangen hat. Unterdessen spricht Hoban von Blut.
Sein Thema ist Blut aller Art. Gewöhnliches Blut, ungewöhnliches, außerordentlich seltenes Blut. Das Defizit zwischen weltweiter Nachfrage und weltweitem Angebot. Das Blut aller Nationen. Der Verkaufswert von Blut im Groß- und Einzelhandel je nach Blutgruppe auf den medizinischen Handelsplätzen in Tokio, Paris, Berlin, London und New York. Wie man Blut testet, wie man gutes
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