Untitled
von schlechtem Blut unterscheidet. Wie man es kühlt, in Flaschen füllt, einfriert, transportiert, lagert, trocknet. Die Importvorschriften der größeren westlichen Industrieländer. Gesundheits- und Hygienestandards. Zollformalitäten. Warum macht er das? Warum ist Blut plötzlich ein so reizvolles Thema für ihn? Blut ist für Tiger genauso widerwärtig wie Rauchen. Es beleidigt seine Vorstellungen von Unsterblichkeit und widerspricht seiner schon sein Leben lang; manchmal deutet er sie als Zeichen einer verborgenen Sensibilität, manchmal verachtet er sie als Schwäche. Die kleinste Schnittwunde, ein bißchen Rot, ein bißchen Blutgeruch, die bloße Erwähnung von Blut, all das kann Tiger in Panik versetzen. Seinen Chauffeur Gasson hat er beinahe gefeuert, weil er bei einem blutigen Unfall erste Hilfe leisten wollte, während sein Gebieter mit aschfahlem Gesicht hinten im Rolls Royce saß und ihn anschrie, er solle weiterfahren, weiterfahren, weiterfahren. Nach der begeisterten Miene zu urteilen, mit der er Hobans monotone Beschreibung des Speziellen Vorschlags Nummer Drei verfolgt, ist heute jedoch Blut für Tiger das Schönste, was es gibt. Und es geht hierum Ströme von Blut: frisch aus der Quelle; großzügigen russischen Spendern ist es zu verdanken, daß für den halben Liter ein Preis von nur neunundneunzig Dollar fünfundneunzig Cent für den notleidenden amerikanischen Endverbraucher berechnet wird - und wir reden hier von bis zu einer Viertelmillion Liter pro Woche, kapiert, Oliver? Hoban verwandelt sich in einen Menschenfreund. Dazu braucht es nicht mehr, als daß er seine Stimme zu einem ehrfürchtigen Singsang dämpft, züchtig die Lippen schürzt und die Augenlider senkt. Die Konflikte in Karabach, Abchasien und Tiflis, hebt er an, haben den Orlow-Brüdern tragische Einblicke in die Mängel des abgewirtschafteten russischen Gesundheitswesens vermittelt. Sie rechnen fest damit, daß es noch schlimmer wird. Leider besitzt die Sowjetunion weder ein nationales Blutspendesystem noch ein Programm für das Sammeln und Verteilen von Blut an unsere zahlreichen geplagten Hauptstädte noch irgendwelche Lagermöglichkeiten. Die Idee, Blut zu verkaufen oder zu kaufen, ist dem sowjetischen Feingefühl vollkommen fremd. Die Sowjetbürger sind es gewohnt, ihr Blut freiwillig und spontan zu spenden, wenn Mitgefühl oder Patriotismus es in besonderen Notlagen von ihnen verlangt, und nicht - Gott behüte - um damit Geld zu machen, sagt Hoban mit einer Stimme, die jetzt so blutleer ist, daß Oliver sich fragt, ob er nicht etwa auch eine Transfusion gebrauchen könnte.
»Wenn zum Beispiel, bitte, die Rote Armee irgendwo im Einsatz ist, wird im Radio zu Spenden aufgerufen. Zum Beispiel stehen im Fall einer Naturkatastrophe ganze Dörfer Schlange, um dieses Opfer zu bringen. In großen Krisen spendet das russische Volk viel Blut. Im neuen Rußland wird es viele Krisen geben, und Krisen kann man auch herbeiführen. Eiserner Grundsatz.« Wo um alles auf der Welt soll dieser Unsinn hinführen? fragt sich Oliver, doch ein Blick in die Runde macht ihm klar, daß er mit seiner Skepsis allein dasteht. Tiger zeigt ein drohendes Lächeln, das sagt: Frag mich, wenn du´s wagst. Jewgenij und Michail beten gemeinsam, sie haben die Köpfe gesenkt und die Hände gefaltet im Schoß liegen. Schalwa lauscht verträumt, in Erinnerungen versunken, und Massingham hat die Augen anmutig geschlossen und die eleganten Beine in Richtung des nicht angezündeten Kamins ausgestreckt. »Daher wurde auf höchster Ebene die politische Entscheidung getroffen, daß in allen größeren Städten der Sowjetunion unverzüglich nationale Blutbanken eingerichtet werden sollen«, berichtet Hoban, und jetzt klingt er nicht mehr wie ein Erweckungsprediger, sondern eher wie ein näselnder Nachrichtensprecher von Radio Moskau an einem naßkalten Morgen. Und Oliver kapiert immer noch nicht, dabei scheint allen anderen vollkommen klar zu sein, wohin all das führen soll.
»Großartig«, murmelt er abwehrend und spürt, wie die anderen ihn anstarren. Aber kaum hat er das gesagt, vergißt er die anderen und wechselt einen Blick mit Jewgenij, der den Kopf schräg nach hinten gelegt hat und Oliver mit vorgerecktem Felsenkinn durch den Doppelsaum seiner Wimpern fragend ansieht.
»Entsprechend der nationalstaatlichen Zielsetzung wird man allen Republiken der Sowjetunion empfehlen, in jeder benannten Stadt autonome Blutsammelstellen einzurichten. Diese Stellen werden
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