Untitled
den Weg legen.« »Prima. Ich denk daran.«
»Und sag ihr nichts davon. Von dem Geld. Das könnte ihre Absichten beeinflussen. Wenn es soweit ist, kommt sie schon von selbst darauf. Auf diese Weise kannst du sicher sein, daß sie das Herz am rechten Fleck hat.« »Gute Idee. Noch mal, danke.«
»Sag mal, Junge« - vertraulich, eine Hand auf Olivers Arm »auf wieviel kommst du zur Zeit denn so?«
»Auf wieviel?« wiederholt Oliver ratlos. Er zerbricht sich den Kopf, versucht Umsatzzahlen, Gewinnspannen, Netto und Brutto aus seinem Gedächtnis zu graben.
»Mit Nina. Wie oft? Zweimal pro Nacht und einmal am Morgen?«
»O mein Gott« - grinsen, Haare aus der Stirn schieben -, »ich glaub, wir kommen mit dem Zählen nicht mehr mit.« »Guter Junge. So ist´s recht. Liegt in der Familie.«
10
Das Mansardenzimmer, in das Oliver sich nach dem Tee mit Brock im Garten zurückgezogen hatte - und wo er seit einiger Zeit ein einsames Leben führte, das die Mannschaft nur wohldosiert unterbrach, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen -, war mehr als trostlos eingerichtet: Es gab dort nur ein eisernes Bettgestell, einen Kieferntisch, auf dem eine Kinderabziehbildern auf dem Spiegel, die Oliver aus Langeweile vergeblich zu entfernen versucht hatte. Es gab auch eine Telefonsteckdose, aber ein Telefon wurde Gefangenen nicht zugestanden. Die Mannschaft hatte ihm Essen und Gesellschaft angeboten, aber er hatte beides abgelehnt. In den Zimmern nebenan waren Mitglieder der Mannschaft einquartiert: Brocks Argwohn gegen Oliver war mindestens so stark wie seine Zuneigung zu ihm. Es ging auf Mitternacht zu, und nachdem er lange im Zimmer umhergewandert war - unter anderem auf der vergeblichen Suche nach einer Flasche Whisky, die er am Morgen beim Packen zwischen seinen Hemden versteckt hatte -, hockte Oliver nun wieder einmal in Knastbruderhaltung auf seinem Bett: den verwirrten Kopf tief herabgebeugt, fingerte er an einem ein Meter langen Luftballon herum. Er trug ein Badetuch und kostspielige Socken aus mitternachtsblauer Seide von Turnbull & Asser. Tiger hatte ihm dreißig Paar davon geschenkt, nachdem er ihn einmal in einer blauen Woll- und einer grauen Baumwollsocke erwischt hatte. Ballons halfen Oliver zur Vernunft zu kommen, und Brearly war sein Mentor. Wenn alles andere in seinem Leben fehlschlug, konnte er immer noch eine Schachtel mit Ballons vor sich hinstellen und sich Brearlys Ausführungen über die Kunst des Modellierens ins Gedächtnis zurückrufen: Brearly zum Thema Aufblasen und Knoten, Brearly zu dünnen und länglichen und krummen Ballons und wie man brauchbare Ballons von schlechten unterscheidet. Als seine Ehe in die Brüche ging, hatte er sich nächtelang Brearlys Vorführvideos angesehen und war so Heathers weinerlichen Tiraden entkommen. Wenn nichts schiefgeht, stehen Sie um ein Uhr nachts auf der Bühne, hatte Brock ihn ermahnt. Und ich möchte, daß Sie wieder wie ein Gentleman aussehen.
Bei dem wenigen Licht, das durch das vorhanglose Mansardenfenster ins Zimmer fiel, ließ Oliver etwas Luft aus dem Ballon und knickte ein Ende ab, um einen Kopf zu formen, stellte dann aber fest, daß er noch gar nicht wußte, was für ein Tier er überhaupt machen wollte. Eine Umdrehung, dann eine Handbreit abmessen und noch eine Umdrehung; dabei fiel ihm auf, daß seine Handflächen schwitzten. Er legte den Ballon weg, wischte sich andächtig die Hände an einem Taschentuch ab, tauchte sie in eine Schachtel mit Zinkstearatpulver, die neben ihm auf der Daunendecke lag - Zinkstearat, um die Finger glatt, aber nicht schlüpfrig zu halten; Brearly ging nie ohne das Zeug aus dem Haus -, und tastete unter dem Bett nach einem Ballon, den er zuvor bereits aufgeblasen hatte. Er schlang die beiden Ballons fest umeinander, hielt sie ans Fenster, prüfte ihre Form vor dem nächtlichen Himmel, wählte eine Stelle aus und kniff zu. Der Ballon platzte, aber Oliver - der sich normalerweise für jede natürliche oder unnatürliche Katastrophe die Schuld gab - machte sich keine Vorwürfe. Kein Zauberer auf der Welt, hatte Brearly ihm eingeschärft, kann Mißgeschicke mit Ballons vermeiden, und Oliver glaubte daran. Es gab schadhafte Partien, oder das Wetter war ungünstig, und dann spielte es keine Rolle, wer man war, da konnte man Brearly höchstpersönlich sein, und trotzdem explodierten sie einem wie Knallkörper ins Gesicht, zerfetzten einem die Wangenhaut wie mit winzigen Rasierklingen, und schon liefen die Tränen, und die
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