Untitled
wir ihn bekommen haben, jungfräulich und unversehrt. Ich fürchte nämlich, wir könnten es hier mit dem guten alten biblischen Treuetest zu tun haben.
»Und er hat eine Nachricht für dich«, sagt Oliver zu seinem Vater, nicht zu Brock.
»Nachricht? Was für eine Nachricht?« - er wählt einen zehnzölligen silbernen Brieföffner - »Du hast mir die Nachricht bereits gegeben.«
»Eine mündliche Nachricht. Nicht besonders höflich, fürchte ich. Er sagt, ein alter Russe läßt dir ausrichten, daß du ein Narr bist. Es war übrigens das erstemal, daß er sich in meiner Gegenwart als Russen bezeichnet hat. Normalerweise ist er Georgier« Tigers Allwetterlächeln ist noch immer an seinem Platz. Die Stimme klingt durch einen Extratropfen Öl noch salbungsvoller, als er den gefährlichen Einschnitt wagt, ein einzelnes Blatt Papier herauszieht und entfaltet. »Aber mein Lieber, er hat ja so recht, das bin ich ja wirklich! … Ein totaler Narr … Niemand sonst würde ihm solche Bedingungen anbieten wie wir … Es geht doch nichts über einen Burschen, der sich einbildet, er würde mich ausrauben … Kommt mit seinem Geschäft nicht über den Berg, oder? Was? Was?« Tiger faltet das Blatt wieder zusammen, steckt es in den Umschlag zurück und wirft den Umschlag in seinen Eingangskorb. Hat er es gelesen? Wohl kaum. Aber Tiger liest heutzutage selten noch etwas. Er hat sich mit der nebulösen Vision eines Sehers gewappnet. »Ich hatte erwartet, daß du dich schon gestern abend melden würdest, Oliver. Wo warst du, wenn ich fragen darf?« Olivers Gehirnzellen ziehen sich vor Ablehnung zusammen. Das verdammte Flugzeug hatte Verspätung! - tatsächlich war es eher zu früh gelandet - Ich habe kein verdammtes Taxi bekommen! - tatsächlich hatte es massenhaft Taxis gegeben. Er hört Brocks Stimme: Sagen Sie ihm, Sie hätten sich mit einem Mädchen getroffen. »Ich wollte dich ja anrufen, aber ich dachte, ich geh mal bei Nina vorbei«, lügt er errötend und reibt sich die Nase.
»Ach ja? Nina? Soso. Jewgenijs Großnichte zweiten Grades oder so was in der Richtung?«
»Es ging ihr aber nicht so gut. Sie hat die Grippe.« »Immer noch hinter ihr her?« »Na ja, kann man so sagen, ja.«
»Noch nicht den Appetit verloren?«
»Nein - ganz und gar nicht - im Gegenteil.«
»Gut. Oliver.« Plötzlich stehen sie Arm in Arm an dem großen
Erkerfenster. »Ich habe heute morgen einen Glückstreffer
gelandet.«
»Das freut mich.«
»Einen ziemlich großen Treffer. Glück in dem Sinne, daß gute Männer ihr Glück selber schmieden. Kannst du mir folgen?« »Natürlich. Gratuliere.«
»Wenn Napoleon einen Bewerber in Betracht zog, hat er seine jungen Offiziere gefragt -«
»›Seid ihr glücklich?‹« fährt Oliver für ihn fort.
»Genau. Dieses Stück Papier, das du mir eben gegeben hast,
bestätigt mir, daß ich zehn Millionen Pfund verdient habe.«
»Ausgezeichnet.«
»In bar.«
»Noch besser. Wunderbar. Phantastisch.«
»Steuerfrei. Außer Landes. In sicherer Entfernung. Wir wollen das Finanzamt nicht damit belästigen.« Sein Griff spannt sich. Olivers Arm ist wie ein Schwamm. Tigers stark und geschmeidig. »Ich habe beschlossen, das Geld aufzuteilen. Kannst du mir folgen?«
»Nicht direkt. Ich bin heute morgen etwas begriffsstutzig.« »Dich gestern mal wieder verausgabt, was?« Oliver grinst affektiert.
»Fünf Millionen für mich, für die schlechten Zeiten, die ich nicht zu erleben gedenke. Fünf Millionen für unser erstes Enkelkind. Was sagst du dazu?«
»Unglaublich. Ich bin dir sehr dankbar. Vielen Dank.«
»Du freust dich.«
»Ungeheuer.«
»Aber du freust dich nicht halb so sehr, wie ich mich freuen werde, wenn der große Tag endlich da ist. Also denk dran. Dein erstes Kind, fünf Millionen Pfund. Die Sache ist abgemacht. Wirst du daran denken?«
»Ja natürlich. Danke. Ich danke dir sehr.«
»Es geht mir nicht um deinen Dank, Oliver. Sondern um ein drittes S bei Single & Single.«
»Genau. Großartig. Ein drittes S. Phantastisch.« Er zieht behutsam den Arm aus der Schlinge und fühlt, wie das Blut wieder zurückströmt.
»Nina ist ein gutes Mädchen. Ich habe sie überprüfen lassen. Die Mutter ist ein Flittchen, kann man immer brauchen, wenn man mal etwas Spaß im Bett haben will. Väterlicherseits niederer Adel, etwas exzentrisch, aber nicht furchterregend; vernünftige Geschwister. Absolut mittellos, aber wen kümmert das, wenn unser Erstgeborener fünf Millionen bekommt? Ich werde dir keine Steine in
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