Untitled
fünffachen Millionär gemacht hat. Und wo jetzt - o Gott, Herr im Himmel! - wo jetzt Tigers Leiche, langgestreckt und in gespenstischen Musselin gehüllt, wie eine Mondsichel auf dem Rücken in der Luft schwebte. Bis zum Zerreißen auf die Streckfolter gespannt. Tiger als Spinne, erhängt im eigenen Netz. Oliver trat zaudernd näher, aber die Erscheinung blieb. Das ist ein Zaubertrick! Verblüffen Sie Ihre Freunde! Schneiden Sie Ihren Partner vor deren Augen in zwei Teile! Frankierten Rückumschlag an Magic Numbers, Postfach, Walsingham! Er flüsterte: »Tiger.« Außer dem Schluchzen und Keuchen der Stadt blieb alles still. »Vater. Ich bin´s, Oliver. Ich bin´s. Ich bin zurück. Es geht mir gut. Vater. Ich liebe dich.« Er schwenkte einen Arm in wildem Bogen über die Leiche, hoffte an Drähte zu stoßen, bekam aber nur eine Handvoll Leichentuch zu fassen. Er fuhr zurück, erwartete Furchtbares, zwang sich aber die Augen offen zu halten und sah einen undeutlichen braunen Kopf von unten auf sich zuschweben. Und erblickte nicht seinen Vater, aufgestiegen aus dem Grab, sondern die erstaunten triefäugigen Züge des immer treuen Gupta, der sich aus den Freudentränen im Gesicht, bekleidet nur mit einer blauen Unterhose, gehüllt in ein Moskitonetz, packte den jungen Herrn an beiden Armen und schüttelte ihn im Rhythmus seines panischen Entzückens.
»Mr. Oliver, wo haben Sie nur so lange gesteckt, Sir? Im Ausland, im Ausland! Studieren, studieren! Mein Gott, Sir; Sie müssen sich ja die Augen aus dem Kopf studiert haben. Niemand durfte von Ihnen reden. Sie waren ein Geheimnis von enormer Größe, und niemand durfte es verraten. Haben Sie geheiratet, Sir ? Sind Sie mit Kindern gesegnet, sind Sie glücklich? Vier Jahre, Mr. Oliver, vier Jahre! Mein Gott. Sagen Sie mir nur, daß Ihr verehrungswürdiger Vater am Leben und bei guter Gesundheit ist, bitte. Wir haben seit vielen langen Tagen nichts mehr von ihm gehört.«
»Mr. Tiger lebt«, sagte Oliver; er war nur noch erleichtert und vergaß alles andere. »Es geht ihm gut.«
»Ist das die Wahrheit, Mr. Oliver?«
»Ja, wirklich.«
»Und Sie selbst, Sir?«
»Habe nicht geheiratet, aber auch mir geht es gut. Danke, Gupta. Danke.« Danke, daß du nicht Tiger bist.
»Dann bin ich doppelt glücklich, Sir, das heißt, wir alle. Ich konnte meinen Posten nicht verlassen, Mr. Oliver. Ich entschuldige mich nicht. Der arme Mr. Winser. Mein Gott. In der zweiten Blüte seines Lebens, wenn man so sagen darf. Ein echter Gentleman. Immer ein Lachen und ein freundliches Wort für uns kleine Leute und besonders für die Damen. Und jetzt wird das sinkende Schiff im Stich gelassen, die Passagiere verschwinden wie Schnee im Feuer. Am Mittwoch drei Sekretärinnen, am Donnerstag zwei hervorragende junge Wertpapierhändler, und jetzt gehen Gerüchte um, daß unser höchst eleganter Bürochef nicht einfach in Urlaub weilt, sondern sich auf Dauer nach besseren Möglichkeiten umsieht. Aber einer muß doch dableiben und das Feuer hüten, sage ich, selbst wenn wir aus Sicherheitsgründen im Dunkeln sitzen müssen.« »Sie sind großartig, Gupta«, sagte Oliver.
Danach herrschte unbehagliches Schweigen, während die beiden jeder für sich noch einmal überlegten, welche Freude sie aneinander hatten. Gupta hatte eine Thermoskanne mit heißem Tee. Oliver trank aus der einzigen Tasse, vermied es aber, Gupta in die Augen zu sehen. Und Guptas eifriges erwartungsvolles Lächeln ging an und aus wie eine schadhafte Lampe.
»Mr. Tiger läßt Sie grüßen, Gupta«, brach Oliver endlich das Schweigen.
»Durch Sie, Sir? Sie haben mit ihm gesprochen?«
»›Wenn du den alten Gupta siehst, gib ihm von mir einen Tritt in den Hintern.‹ Sie wissen ja, wie er redet.«
»Sir, ich mag diesen Mann sehr.«
»Das weiß er.« Oliver nahm die Stimme seines Partners an, er verabscheute sich selbst, als er sich so reden hörte. »Er weiß, wie loyal Sie sind, Gupta. Etwas anderes erwartet er auch nicht von Ihnen.«
»Sehr freundlich von ihm. Ihr Vater hat ein großes, ein grenzenloses Herz, möchte ich sagen. Sie beide sind sehr freundliche Menschen.« Guptas kleines Gesicht war vor Unruhe ganz häßlich geworden. Alles, was er empfand - Liebe, Loyalität, Argwohn, Angst -, war ihm in die runzligen Züge geschrieben. »In welcher Angelegenheit sind Sie gekommen, Sir, wenn ich fragen darf?« erkundigte er sich. Die Not machte ihn kühner. »Warum bringen Sie plötzlich Nachrichten von Mr. Tiger, nachdem Sie vier
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