Untot in Dallas
Untoten gepackt hatte, das Paradies. „Was macht der denn, wenn ein Vampir beschließt, sich daneben zu benehmen und eine Schlägerei anfängt?“ fragte ich aus reiner Neugier.
„Er ist nur für die betrunkenen Menschen zuständig. Wir haben leider feststellen müssen, daß Vampire sich als Türsteher wenig eignen. Sie neigen dazu, ihre Kräfte zu unterschätzen und rabiat zu werden.“
Das wollte ich mir lieber nicht genauer ausmalen. „Ist Re-Bar heute nacht hier im Haus?“ fragte ich statt dessen.
„Noch nicht, aber er wird bald hier sein“, erwiderte Stan, ohne sich vorher mit irgend jemandem aus seinem Stab beraten zu haben. Wahrscheinlich hielt er den Kontakt zu seinen Untergebenen rein geistig aufrecht. So etwas hatte ich noch nie zuvor erlebt, und ich war sicher, daß Eric nicht auf diese Weise an Bill herantreten konnte. Diese geistige Kommunikation war offenbar eine Gabe, die ganz speziell Stan zu eigen war.
Während wir warteten, setzte sich Bill auf den Stuhl neben mir. Er streckte die Hand nach meiner aus, eine Geste, die ich tröstlich und beruhigend fand und für die ich ihn sehr liebte. Ich versuchte, mich so gut es ging zu entspannen, meine Kräfte für die nächste Befragung aufzusparen, die mir bevorstand. Aber ich konnte nicht verhindern, daß sich in meinem Kopf eine gewisse Besorgnis, eine ziemlich starke Besorgnis sogar, über die Lage der Vampire in Dallas einnistete. Zudem gingen mir immer noch die Bilder aus der Bar durch den Kopf, die ich in Bethanys Bewußtsein hatte sehen können; hier bereitete mir besonders der Mann Kopfzerbrechen, der mir irgendwie bekannt vorgekommen war.
„Nein!“ rief ich dann plötzlich laut aus, denn mir war wieder eingefallen, wo ich diesen Mann zuvor schon einmal gesehen hatte.
Die Vampire waren sofort in Alarmbereitschaft. „Was ist, Sookie?“ wollte Bill wissen.
Stan wirkte wie aus Eis gemeißelt, selbst seine Augen funkelten eisig grün. Das bildete ich mir nicht nur ein!
So eilig hatte ich es, den beiden meine Überlegungen mitzuteilen, daß ich um ein Haar ins Stottern geraten wäre. „Der Priester!“ teilte ich Bill aufgeregt mit. „Der Mann, der auf dem Flughafen fortrannte, der versucht hat, mich festzuhalten und wegzuschleppen. Er war in der Bar!“ Solange ich mich noch in den Tiefen von Bethanys Bewußtsein aufgehalten hatte, hatten mich die andere Kleidung des Mannes und die ganz andere Umgebung verwirrt, aber nun wußte ich genau, wen ich dort gesehen hatte.
„Ich verstehe“, sagte Bill. Bill scheint sich immer, wenn er will, an alles Erlebte genau erinnern zu können. Ich konnte mich darauf verlassen, daß ihm das Bild dieses Mannes im Gedächtnis eingebrannt war.
„Schon auf dem Flugplatz fand ich nicht, daß er wirklich wie ein katholischer Priester ausgesehen hat, und nun wissen wir, daß er in der Bar saß, als Farrell verschwand“, erklärte ich aufgeregt. „In gewöhnlicher Straßenkleidung. Nicht - nun, kein schwarzes Hemd mit weißem Kragen.“
Es folgte bedeutungsschwangeres Schweigen.
Dann sagte Stan nachdenklich: „Aber selbst mit Hilfe seiner beiden menschlichen Begleiter hätte dieser falsche Priester Farrell nicht gegen dessen Willen entführen können.“
Ich starrte auf meine Hände und sagte nichts. Ich wollte gewiß nicht diejenige sein, die es laut aussprach. Bill schwieg ebenfalls, was ich sehr weise von ihm fand. Endlich sprach Stan Davis, der Obervampir von Dallas, aus, was wir alle dachten: „Bethany hat sich erinnert, daß jemand mit Farrell auf die Toilette ging. Ein Vampir, den ich nicht kannte.“
Ich nickte, vermied es aber, Stan dabei anzusehen.
„Dann muß dieser Vampir geholfen haben, Farrell zu entführen.“
„Ist Farrell schwul?“ fragte ich, wobei ich mich bemühte, das so klingen zu lassen, als hätte nicht ich diese Frage gestellt, sondern als sei sie von ganz allein von irgendwoher durch die Wand gekommen.
„Er bevorzugt Männer. Denkst du ...“
„Ich denke gar nichts!“ erklärte ich entschieden, wobei ich den Kopf schüttelte, um Stan zu verstehen zu geben, daß ich zu diesem Thema wirklich nichts, aber auch gar nichts beitragen konnte. Bill drückte mir die Finger zusammen. Autsch.
Das Schweigen im Raum war angespannt, bis die Vampirin, die wie ein Teenager aussah, zurückkam, im Schlepptau einen untersetzten Mann, den ich bereits aus Bethanys Erinnerungen kannte. In natura sah er allerdings anders aus als in Bethanys Bewußtsein, durch ihre Augen betrachtet.
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