Untot - Lauf, solange du noch kannst (German Edition)
verschwunden, da ist bloß noch dieses stolpernde, hungrig wirkende Vieh, das mich kriegen will. Und dann noch dieses Ächzen . Ein kehliges Stöhnen, das von so tief unten kommt, dass man denken könnte, er versucht Öl zu fördern. Hat er eine Frau? Kinder? Irgendjemanden, der ihn jetzt noch erkennen würde? Was würden sie empfinden, wenn sie ihn jetzt so sehen könnten?
Reiß dich zusammen. Konzentrier dich. Dad hat immer gesagt, dass ich ein schnelles Reaktionsvermögen habe – darum bin ich so gut beim Skilaufen –, und jetzt muss ich es bis zum Letzten ausreizen. Der Fahrer hat mich fast erreicht. Er ist höchstens noch einen Meter von mir entfernt.
Jetzt!
Ich weiche in den Sitz zu meiner Linken aus, werfe ein Bein über die Rückenlehnen vor mir und mache mich bereit an ihm vorbeizuklettern. Aber der Fahrer ist nicht dicht genug dran, als dass ich ihn umgehen könnte; er tritt einfach eine Reihe weiter vorn zwischen die Sitze wie eine gut geschulte Schachfigur. Na schick . Ich sause zurück in den Gang, dann hinüber zur rechten Seite und klettere eine Sitzreihe weiter nach vorn, bevor er reagieren kann. Eine Sekunde lang denke ich schon, dass ich es geschafft habe, da stürzt er sich auf mich.
Ohne nachzudenken, bohre ich ihm den Skistock in die Brust. Es gibt ein dumpfes Geräusch, die Spitze dringt verblüffend leicht in ihn ein und ich spieße ihn auf wie ein zappelndes Insekt. Er fegt den Stock beiseite und seine plötzliche Kraft ist ein Schock. Der Stock wird mir aus der Hand gerissen und fliegt außer Reichweite. Der Fahrer stürzt wieder auf mich zu, Speichel fliegt ihm in trüben, zähflüssigen Tröpfchen aus dem Mund. Ich presse mich mit dem Rücken an die Scheibe und rutsche ab – bloß wegen dieser lächerlichen kleinen Nylonvorhänge, die zu nichts taugen, als Fluchtversuche vor fleischfressenden Monstern zu behindern. Als ich wie ein zerschlagenes Ei an der Scheibe hinuntergleite, fällt mir auf, dass der Skistock quer vor meiner Sitzreihe klemmt und eine wenn auch dürftige Absperrung zwischen dem Busfahrer und mir bildet. Er drückt sich dagegen und greift nach mir, zusehends frustriert, denn seine Finger reichen nicht ganz an mein Gesicht heran. Wenn ich hier und jetzt sterbe, dann werde ich mich in Grund und Boden schämen. Was für eine Versagerin. Von einem Busfahrer zur Strecke gebracht und aufgefressen, in Schottland, auf einer dämlichen Klassenfahrt. Meine Fresse. Gerade als der Skistock nachgibt und sich seine Finger in meine Haare krallen, werfe ich mich über die Rückenlehne vor mir – und rolle auf den Gang hinaus.
Eine Millisekunde lang dränge ich mich gegen den Fußboden, damit der sich bitte öffnet und mich verschluckt. »Mach schnell!«, kreischt Alice von oben.
Ich sehe hoch. Der Fahrer kommt mit mahlenden Kiefern auf mich zu. Alice kreischt wieder. Abgelenkt richtet er sich auf und schlägt mit dem unverletzten Arm nach der Luke.
Zeit zum Aufstehen. Aber als ich mich bewegen will, hält irgendwas meine Jacke fest. Ich taste unter mir herum. Mein Skipass hat sich irgendwo am Boden verfangen. Ich komme hier nicht weg.
Über mir knallt es – jetzt dürfte die Luke zu sein. Ich bin auf mich allein gestellt. Hey, die beiden haben länger durchgehalten, als ich dachte.
Verzweifelt zerre ich an dem Stück Plastik an meiner Brust. Am Boden klappt ein silberner Ring hoch. Ich starre ihn an. Ich weiß, was das ist. Mit aller Kraft ziehe ich an dem Silberding und eine Falltür schwingt nach oben, kracht dem Fahrer, der sich gerade zu mir herunterbückt, ins Gesicht. Ein schwarzes Loch tut sich unter mir auf und ich lasse mich ohne weitere Umschweife kopfüber da hineinrutschen.
Gott sei Dank ein kurzer Fall, der von etwas Weichem gedämpft wird. Ich befinde mich im Gepäckraum, obendrauf auf einem offenen Koffer – der herausgeschnittene Deckel klebt jetzt irgendwo im Rückfenster.
Es ist dunkel hier, aber über mir klafft ein helles Rechteck. Die Falltür war nicht mit Scharnieren befestigt; sie ist komplett abgegangen, bevor der Fahrer sie ins Gesicht gekriegt hat, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sein benebeltes Gehirn begreift, dass ich immer noch in Reichweite bin.
Ich krabbele über die Koffer, deren Inhalt sich auf den Boden ergießt, zu den Gepäckraumtüren hinüber. Gepäckraumtüren sind nicht dafür vorgesehen, dass jemand durch sie nach draußen ins Freie flieht. Ich trommle mit der Faust dagegen und bete, dass Smitty mitdenkt und mir
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