Untot - Lauf, solange du noch kannst (German Edition)
probiert den riesigen, runden Türknauf. Er ist offensichtlich nur Deko.
»Vielleicht sollten wir erst mal klingeln?« Ich zeige auf einen unauffälligen Metallknopf neben der Tür. »Wir wollen ja niemanden erschrecken.«
Alice drückt ihn schon. Wir warten, lauschen angestrengt auf näher kommende Schritte. Smitty presst sein Ohr an die Tür.
»Und genau jetzt spaltet mir der verrückte Axtmörder durch das Holz hindurch den Schädel.« Er grinst mich an.
»Sag das bloß nicht.« Echt mal, heute ist alles möglich.
Smitty versucht es stattdessen mit lautem Anklopfen. Alice sinkt wieder zu Boden, der kleine Cam fängt in den Armen seiner Schwester an zu weinen und Pete wirft wieder gehetzte Blicke Richtung Straße. Aber niemand kommt an die Tür.
»Dann gehen wir eben hintenrum rein.« Smitty stapft schon los.
»Nein!«, ruft Lily. Sie setzt Cam auf dem Boden ab und holt eine Plastiktüte aus der Tasche, legt sie auf die schneebedeckte Stufe und die beiden hocken sich hin. »Wir sind weit genug gelatscht. Geh du nach hinten. Wenn du einen Weg findest, dann komm und lass uns rein, ja?«
Damit ist Smitty einverstanden. Alice und Pete sind mehr als einverstanden. Ich schwanke zwischen den beiden Lagern; einerseits möchte ich gern hierbleiben, andererseits will ich nicht, dass Smitty alleine geht. Aber mein Zögern reicht aus, dass er ohne mich in der Dunkelheit verschwunden ist. Ich werde fünf Minuten warten, beschließe ich, dann gehe ich ihm hinterher.
Der Wind hat nachgelassen. Als ich mich zwischen Alice und Lily auf die Stufe setze, kitzelt mich etwas an der Nase. Ich schaue hoch; es schneit wieder. Nur ein paar Flocken.
»Ach nein«, seufzt Alice. »Als ob wir davon noch mehr bräuchten.«
Cam fängt auf Lilys Schoß an zu weinen und herumzurutschen. »Hey, ist ja gut«, sagt sie leise zu ihm. »Gleich sind wir im Warmen und können neben einem gemütlich prasselnden Feuer sitzen.« Er klammert sich an sie und sie atmet in seine Haare. »Wir können Toast machen«, fährt sie fort. »Das wäre doch was, oder? Toast am Feuer machen wie letzte Weihnachten?« Der Junge nickt. »Wer weiß? Vielleicht haben die da drin ja sogar Marshmallows oder so was.«
Ich bin ziemlich skeptisch, was ihre vollmundigen Versprechungen betrifft, aber vorläufig scheint es zu funktionieren. Cam ist ganz angetan von der Marshmallows-Idee. Er windet sich aus den Armen seiner Schwester und steht grinsend am Fuß der Treppe.
»Dann zeig mir mal, wie ein großer Junge seine Marshmallows röstet, ja?«, sagt Lily.
Er streckt seine Hand aus, als hielte er eine Gabel, beugt die Knie und lehnt sich uns entgegen, als wären wir das Feuer. Das ist so süß, das kann man gar nicht beschreiben. Alle lachen, sogar Pete.
»Aufpassen!«, sagt Lily und wackelt mit den Fingern, als wären es Flammen. »Das Feuer wird heißer und heißer!« Ihre Hände bewegen sich auf ihn zu. »Verbrenn dich nicht!«
Er reißt die imaginäre Gabel weg, bevor ihre Finger zu nahe herankommen können, und kreischt begeistert. Ich hebe auch die Hände; das Feuer ist noch mal gewachsen. Er macht das Spiel jetzt mit mir und ich warte ein bisschen länger, bevor die Flammen wachsen, damit es noch lustiger wird. Er geht ein paar Schritte rückwärts in den Schnee, der ihm fast bis zur Hüfte geht. Dann ist Alice dran, und als sie nach ihm greift, zieht er sich noch weiter zurück, steigt in unseren Fußstapfen durch den höher werdenden Schnee und seine kleinen Beine haben richtig zu ackern.
»Vorsicht!«, warnt Lily, aber ernsthaft besorgt klingt sie nicht. Es ist ja bloß weicher Schnee. Cam kann nicht weit weg, und wenn er hinfällt, wird er sich nicht wehtun.
Als wollte er den Beweis dafür antreten, plumpst er wirklich hin, als er versucht zur Treppe zurückzukommen. Er liegt auf dem Rücken, schwimmt in einem Meer aus weißer Watte und kichert wie bekloppt. Wir lachen auch und ich frage mich, wie Cam in dem einen Moment um sein Leben laufen und im nächsten dermaßen sorglos spielen kann.
»Er ist total süß.« Ich sehe Lily an. »Hast du noch mehr Geschwister?«
»Nur ihn.« Sie lächelt mich an. »Er kann manchmal echt nerven. Du hast wohl keinen kleinen Bruder, sonst wüsstest du das.«
»Nein, außer mir gibt’s niemanden.«
Ihr Gesicht wird hart. »Tja, außer uns beiden jetzt auch keinen mehr. Mum war in dem Café …«
»Ich weiß. Echt ein Mist.«
»Seit wir hierhergezogen sind, ist sie da jeden Samstag mit ihm hingefahren, weil ihm
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