Untot mit Biss
Pritkin ist nicht ganz ehrlich gewesen. Die erwählte Sibylle, die Erbin der Pythia, muss in ihrer Jugend keusch bleiben, vermutlich deshalb, damit niemand unangemessenen Einfluss auf sie gewinnt. Aber in einem solchen Zustand kann sie nicht zur Pythia werden. Die alten Quellen sind sich alle einig: In Delphi wurde eine ältere, reife Frau gewählt, da man feststellte, dass die Macht junge Frauen mied.« Er lächelte erneut und zog meine Hände tiefer. Ich fühlte, wie er unter meiner Berührung wuchs. »Niemand kennt den genauen Grund, Cassie, aber die Macht geht nie ganz auf eine Jungfrau über.«
Ich starrte ihn groß an. »Das soll wohl ein Witz sein.« Es erklärte natürlich, warum alle bis auf Rafe so gekleidet waren, als wären sie zu Aufnahmen für
Playgirl
unterwegs.
Mircea antwortete nicht. Seine talentierten Hände tasteten hinter meine Knie und streichelten die Haut. Irgendwie hatte er bereits herausgefunden, dass mich das antörnte. »Wir haben versucht, es einfach für dich zu machen. Wir schickten Tomas, dem es normalerweise nicht schwerfällt – wie soll ich mich ausdrücken? –, Frauen dazu zu bringen, seine Reize zu genießen. Aber du hast ihn verschmäht, trotz all seiner Versuche, deine Gunst zu gewinnen.« Mircea lachte kurz. »Ich glaube, du hast seinen Stolz verletzt,
Dulceatà.
Ich glaube, er hat nie zuvor einen Korb erhalten.«
Ich schluckte. »Er hätte mich zwingen können.«
Die Erheiterung verschwand aus Mirceas Gesicht. »Ja«, bestätigte er leichthin. »Und es hätte ihn das Herz gekostet, wie ich ihm klargemacht habe, bevor er ging.« Die Hände an meinen Knien glitten zu den Oberschenkeln und drückten zu. »Du gehörst mir, Cassie. Ich wäre selbst zu dir gekommen, wenn ich gewusst hätte, wie stark wir uns zueinander hingezogen fühlen. Aber ich muss zugeben: Bis heute habe ich dich eigentlich nicht als junge Frau gesehen. Außerdem dachte ich, dir wäre nicht ganz wohl in deiner Haut, wenn dein ›Onkel‹ Mircea plötzlich ein derartiges Interesse an dir entwickelte.«
»So habe ich dich nie genannt.« Ich hatte auch nie so von ihm gedacht. Mit elf war man jung, aber nicht zu jung, um in jemanden verknallt zu sein, und ich war
sehr
in ihn verknallt gewesen. Die Dinge schienen sich kaum geändert zu haben, zumindest nicht für mich. Ich glaubte nicht für eine Sekunde, dass Mircea etwas empfand. Er war damit an der Reihe, Begehren zu spielen, damit ich weiterhin benutzt werden konnte. Es schmerzte zu wissen, dass Tomas’ Verführungsversuche auf Anweisungen der Konsulin zurückgingen, und vermutlich auch Mirceas Bemühungen, aber eine Überraschung war es nicht.
Soweit es mein Leben betraf, hatte ich schon vor einer ganzen Weile begriffen, dass mich jeder für irgendetwas benutzen wollte.
»Worüber hat Pritkin sonst noch gelogen?«
Mircea lächelte schlau. »Ist das eine Frage,
Dulceatà}«
Ich schluckte nervös, als seine Hände damit begannen, meine Oberschenkel zu massieren. Er nahm meinen verwirrten Blick mit einem leisen Seufzen zur Kenntnis. »Ich tue dir nicht weh, Cassie. Ich schwöre, dass dir meine Berührungen nichts als Wonne bescheren.«
»Bist du bereit, die Frage zu beantworten – ausführlich?«
»Halte ich nicht immer meine Versprechen?« Ich nickte. Das stimmte.
Zumindest bisher. Mircea lächelte und setzte sich auf die Fersen. »Na schön.
Inwiefern hat Pritkin gelogen?« Er überlegte kurz. »In den meisten Fällen hat er nicht gelogen,
Dulceatà.
Er ist der Wahrheit nur ausgewichen. Er war ehrlich, als er daraufhinwies: Wenn die Sibylle zur dunklen Seite wechselt oder getötet wird, geht die Macht auf jemand anders über. Aber er nahm es mit der Wahrheit weniger genau, als er nicht besonders überzeugend abstritt, dass sie dich wählen konnte, sobald du … bereit bist.«
»Warum verabscheut der Kreis die Vorstellung, dass ich die Macht bekommen könnte?«
Mirceas lautes Lachen hallte durch den Raum. »Weil er dich fürchtet. Niemand kann die Pythia beherrschen. Der Kreis ist verpflichtet, sie zu schützen, ihr sogar in einigen Dingen zu gehorchen, und du wärst die erste potenzielle Pythia, die er nicht von Geburt an eingewiesen hat. Du wärst nicht seine Marionette, wie so viele Pythien vor dir. Du würdest deine Macht so nutzen, wie du es für richtig hältst, und das könnte gelegentlich im Gegensatz zu den Wünschen des Kreises stehen.« Er zögerte kurz, zog die Boxershorts aus und warf sie beiseite. Mit klopfendem Herzen beobachtete
Weitere Kostenlose Bücher