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Untot mit Biss

Untot mit Biss

Titel: Untot mit Biss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Chance
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verwirrten Gehirn eine Antwort abringen konnte, öffnete sich die schwere Eichentür, und eine Frau in mittleren Jahren kam herein, von vier Wächtern begleitet. Ich sah ihr an, dass sie nicht mitmachen wollte, dem Himmel sei Dank. »Bringt ihn auf die Beine.« Zwei Wächter zogen mich vom Bett. Die Frau, die ich vor kurzer Zeit zu gut kennengelernt hatte, kreischte und zog sich die Decke bis zum Kinn hoch.
    »Marie! Was machst du hier? Hinaus mir dir! Hinaus! Auf der Stelle!« Die ältere Frau sah mich an, und die Verachtung in dem unattraktiven Gesicht verbesserte ihr Aussehen nicht. Ihr prüfender Blick glitt über meinen Leib, der gar nicht meiner war. »Immer bereit, wie ich sehe. Das hast du von deinem Vater.« Sie sah zu den Wächtern. »Nehmt ihn mit.«
    Die Frau warf mir einen Morgenmantel aus schwerem Brokat zu, unter dem ich meinen peinlichen Zustand verbergen konnte, und dann zerrten mich die Wächter aus dem Zimmer. Die junge Dame im Bett rief uns Obszönitäten nach, die vor allem der älteren Frau galten. Mir wurde klar, dass sie kein Englisch sprach, obwohl ich alles verstand. Oder vielleicht war es dieser Körper, der die Worte verstand und für mich übersetzte. Mir blieb keine Zeit, darüber nachzudenken, als man mich durch einen langen steinernen Flur zu einer Treppe führte. Die Stufen wiesen Mulden in der Mitte auf, von Tausenden von Füßen über Jahrhunderte hinweg geschaffen. Dunkelheit herrschte dort unten, und die heraufkommende Luft war so kalt, dass ich überrascht sah, wie mein Atem kondensierte.
    Die Frau blieb oben an der Treppe stehen und sah mich an. Ihr Gesicht zeigte jetzt keine Verachtung mehr, sondern fast so etwas wie Furcht. »Weiter gehe ich nicht. Ich habe bereits gesehen, was dich erwartet, und ich möchte nicht noch einmal den Blick darauf richten.« In ihren Zügen erschien ein Hauch Mitleid. »Dein ganzes Leben hast du den Lohn des Schweigens empfangen. In dieser Nacht wirst du die Strafe dafür bekommen, es gebrochen zu haben.«
    Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich ab, und die Wächter zerrten mich zu jenem schwarzen Loch. Ich war stärker in diesem Körper, aber nicht annähernd stark genug, um mich diesen Burschen zu widersetzen. Ich sah zu der Frau zurück, aber sie ging bereits fort, der Rücken unter ihrem maulbeerfarbenen Kleid steif und gerade. »Bitte!
Madame!
Warum geschieht dies? Ich habe nichts gesagt, das schwöre ich!« Die Worte kamen nicht von mir – sie sprangen ungebeten auf meine Lippen –, und die Frau ging weiter. »Wenn du wissen möchtest, wem du diese Nacht verdankst, so frag deinen Bruder«, erwiderte sie über die Schulter hinweg, bevor sie in einem Raum verschwand. Hinter ihr schloss sich die Tür mit einem Geräusch, das sehr endgültig klang.
    Die Treppe war so schmal, dass die Wächter mich nicht mehr an den Armen festhalten konnten. Aber da sie direkt hinter mir waren und der einzige Weg nach unten führte, spielte es eigentlich keine Rolle. Es gab fast kein Licht. Nur ein wenig Mondschein kam durch lächerlich schmale Fenster, als wir hinabgingen. Die Stufen waren feucht und glatt, und die Mulden in ihrer Mitte machten das Gehen schwer, insbesondere barfuß. Außerdem war mir trotz des Morgenmantels kalt. Allerdings hatte die Kälte einen Vorteil: Sie befreite mich von der Erektion. Doch ein sehr unvertrautes Gewicht hing schlaff zwischen meinen Beinen, ein fremdes, unwillkommenes Gefühl, das zu dem Wunsch beitrug, zu schreien und nicht mehr damit aufzuhören. Auf halbem Weg nach unten stieß ich mit dem Zeh an und war fast dankbar für den Schmerz. Ich stand kurz davor, richtig überzuschnappen, und das Pochen in meinem Fuß gab mir etwas anderes, über das ich nachdenken konnte.
    Fackelschein flackerte über die Stufen, als wir schließlich das Ende der Treppe erreichten. Ihr Licht ließ die Schatten noch dichter werden und zeigte an den Wänden herabrinnende glitzernde Flüssigkeit. Plötzlich war es nicht mehr nur kühl, sondern so kalt, dass ich zu spüren glaubte, wie mir das Blut in den Adern gefror. Es überraschte mich, weder Eis noch Raureif an den Wänden zu sehen – die dahinrinnende Flüssigkeit gefror nicht.
    Viel schlimmer als die eisige Kälte oder die Umgebung war das herzzerreißende Jammern, das hinter der mit eisernen Bändern ausgestatteten Tür einige Meter vor uns erklang. Das dicke Holz dämpfte die Klagelaute, aber sie taten trotzdem in der Seele weh. Es schmerzte, Stimmen zu hören, die so voller

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