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Untreu

Titel: Untreu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa v Bernuth
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zu leiten. Aber erst muss sie ihren Part erfüllen, so gut sie kann.
    Nach fünf Stationen steigt sie aus. Ihre Knie zittern leicht, aber ihr Gang ist entschlossen. Sie wird es schaffen, sie weiß, sie wird es schaffen. Ihre Fingernägel sind bis zum Bett abgekaut, ihre Lippen rissig und spröde, aber all das ist ihr längst egal. Sie begibt sich auf die Rolltreppe und starrt auf das schwarze Gummiband des Handlaufs, auf dem bereits Millionen schweißfeuchte Hände lagen; sie zieht ihre hastig zurück. Die Rolltreppe entlässt sie in eine große Halle mit einer Glasfront am anderen Ende. Sie läuft auf diese Glasfront zu, Türen öffnen sich automatisch, und sie steht auf der sechsspurigen Brücke, auf der sie sich rechts halten muss. Autos rasen lärmend an ihr vorbei, die stickig warme Luft ist geschwängert von Öl und Abgasen. Maria überlegt, ob sie auf den Bus warten soll, aber ihre Nervosität wächst und wächst, und schließlich läuft sie den ganzen Weg zu Fuß bis zur Arnulfstraße. Ein Bus hält neben ihr, und sie steigt ein.
    Zweite Station: Marsstraße.
    Sie ist da. Jetzt wird es sich entscheiden. Alles wird sich jetzt entscheiden.
    »Paula«, sagte Mona - zum wievielten Mal? Die Zeit lief ihr davon, sie spürte es förmlich: Wenn sie sich nicht beeilte, würde noch etwas passieren, eine weitere Leiche auftauchen. »Paula, verdammt. Jetzt drehen Sie sich endlich um!«
    Und tatsächlich bewegte sich das Bettengebirge. Paulas Kopf tauchte auf. Ihre Haare waren wirr, das Gesicht bleich und verschwollen wie das einer Kranken.
    »Was?«, fragte Paula mit tränenerstickter Stimme. Ihre Lippen zitterten, und sie griff nach einem weiteren Taschentuch.
    »Hören Sie auf!«, sagte Mona. Es reichte. Ihr reichte es. Zwei Männer waren tot, einer lag schwer verletzt im Krankenhaus, diese Frau hätte bei der Aufklärung rechtzeitig helfen können und tat sich stattdessen selber Leid. Paula hörte auf zu weinen. »Was wollen Sie?«, fragte sie mit halbwegs normaler Stimme.
    »Das wissen Sie genau. Sagen Sie mir, was Sie wissen, dann müssen Sie nie mehr in diese Zelle zurück.«
    »Ich weiß nichts. Was ich weiß, habe ich Ihnen gestern gesagt.«
    »Das ist Blödsinn.«
    »Ich hatte eine Vision...«
    »Schluss jetzt!« Mona sprang auf. Sie warf ihren Parka ab, unter dem ihr plötzlich viel zu warm geworden war, und schleuderte ihn auf das leere Bett neben Paulas. In einem Angstreflex hob Paula die Decke bis zu ihren Augen. Mona sah auf sie herunter, vor Zorn bebend. »Wissen Sie, wie das ist, in U-Haft zu sein?«
    »Was?«
    Mona ging zum Fenster, Paula Svateks Blick folgte ihr. Mona lehnte sich mit verschränkten Armen ans Fensterbrett, wohl wissend, dass Paula wegen des Gegenlichts ihr Gesicht nicht richtig sehen konnte.
    »Was wollen Sie von mir?«, fragte Paula. Ihre Stimme klang furchtsam.
    »Also, in U-Haft ist es nicht so schlimm wie im Männerknast«, begann Mona. »Keiner vergewaltigt Sie. Und Sie sind auch nicht von Schlägern und Gangs umgeben. Das alles nicht. Im Frauenknast ist das ganz anders, Paula.«
    Mona holte tief Luft. Paula starrte sie wie hypnotisiert an. Ja. Jetzt hatte Mona sie endlich im Griff. Unerbittlich fuhr sie fort.
    »Im Frauenknast sind alle, na, wie soll ich sagen, irgendwie komisch. Da gibt's zum Beispiel welche, die haben ihr Kind erwürgt, aber danach ganz hübsch angezogen, bevor sie's in der Mülltonne versenkten. Andere haben ihrem Kerl eins übergezogen, bevor er es bei ihnen tun konnte. Die sitzen dann nicht ein paar Jahre wegen Totschlags im Affekt, sondern lebenslänglich wegen Mordes, weil es Heimtücke war und geplant, und drehen langsam durch, denn es war ja eigentlich Notwehr, nur dafür - speziell dafür - gibt es kein Gesetz. Dann sind da die Obdachlosen, die irgendwann aus irgendwelchen Motiven gewalttätig wurden, aber nicht verrückt genug sind für die Geschlossene in der Psychiatrie.«
    »Ich...«
    »Worauf ich hinauswill: Sie werden dort ganz viele Freundinnen finden, Paula, bestimmt. Es wird Ihnen richtig gut gefallen in dieser netten Runde. Und wenn Sie wieder rauskommen, werden Sie einen ganz anderen Blick aufs Leben haben. Verstehen Sie mich?«
    Paula schwieg.
    »Sie werden das nie vergessen, das verspreche ich Ihnen. Nie. Es wird nie mehr so unbeschwert sein wie früher. Ihr Leben. Das garantiere ich Ihnen. Na? Freuen Sie sich schon darauf? Solche Erfahrungen kann nicht jeder machen. Da sind Sie schon irgendwie privilegiert.«
    »Hören Sie auf«, murmelte

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