Untreu
vor.
»Nein! Ich hab ... äh... keine Zeit. Können wir... nicht schnell zu Ihnen rauf? In Ihre Wohnung?«
»Zu mir?« Er runzelt die Stirn. Die Idee scheint ihm überhaupt nicht zu gefallen.
»Nur für fünf Minuten.«
»Nein. Bei mir ist nicht aufgeräumt. Ich hab nicht mal das Bett gemacht. Hab keinen Damenbesuch erwartet.« Jetzt grinst er breit, was ihn auf einen Schlag viel jünger macht. Er sieht aus wie sechzehn, siebzehn höchstens. Maria hätte sich in ihn verlieben können, wenn sie nicht wüsste... Sie schüttelt sich vor Ekel. Er ist sympathisch, und das ist das Schlimmste.
»Also gut«, sagt sie. »Dann irgendwohin, wo es ruhig ist. Irgendwo in der Nähe.«
Er nickt und nimmt ganz selbstverständlich ihre Hand.
»Ich bin eine Hexe.«
»O Gott.« Mona verdrehte die Augen.
Paula hatte sich im Bett aufgesetzt. Sie sah immer noch verschwollen aus, aber nicht mehr so krankhaft blass. Sie betrachtete Mona mit ihren hellen Augen. »Sie glauben auch nur, was Sie sehen, oder?«
»Es gibt keine Hexen. Das ist Quatsch. Ich will darüber nichts hören.«
Monas Mutter hatte sich ein paar Monate lang eingebildet, sie hätte magische Kräfte. Sie hatte gedacht, sie könnte fliegen. Das Resultat waren zwei gebrochene Knie und ein monatelanger Krankenhausaufenthalt gewesen. Mona hatte während dieser Zeit bei ihrer Oma gewohnt - die schönste Zeit in ihrer Kindheit.
»Woran denken Sie?«, fragte Paula.
Mona schüttelte leicht den Kopf. »An nichts.«
»Soll ich Ihnen sagen, woran Sie gedacht haben?«
Mona musste über den eifrigen Unterton in Paulas Stimme lächeln. Sie schien wirklich fest an ihre Gabe zu glauben. »Nein, danke. Ich weiß es selber gar nicht mehr.«
»Jetzt lügen zur Abwechslung Sie.«
»Paula. Kein Geplänkel mehr, okay? Was wissen Sie vom Mord an Milan Farkas?«
»Nichts. Das schwöre ich Ihnen. Ich weiß nicht, wer es war.«
»Also gut. Was wissen Sie dann?«
Kai. Alles hatte mit Kai begonnen, die eines Morgens vor etwa einem Jahr zum ersten Mal in ihr Haus kam. Paula hatte sie noch nie gesehen und war erstaunt, denn ihre Kundschaft war in der Regel bedeutend älter als Kai. Sie bestand aus Singles, die wissen wollten, ob sie in absehbarer Zeit ihre große Liebe finden würden, aus Kranken, die die Schulmedizin als hoffnungslose Fälle abgeschrieben hatte, aus Ehefrauen, die die Treue ihrer Männer überprüfen wollten. Für diese Klientel warf sich Paula meist in orientalisch anmutende Wallegewänder und trug manchmal sogar ein turbanähnliches Gebilde. Diese Verkleidung diente - neben der angestrebten exotisch-geheimnisvollen Anmutung - auch dazu, sie älter zu machen. Einer Hexe, die zu jung, hübsch und normal aussah, trauten die Leute nicht.
Paulas Sprechstunden fanden werktags zwischen zehn und vierzehn Uhr statt. Kai kam pünktlich um zehn als erste Kundin. Sie hatte sich ordnungsgemäß einen Tag vorher angemeldet, und Paula hatte sich schon am Telefon über die junge Stimme gewundert. Sie empfing Kai in ihrer üblichen Aufmachung, diesmal in einem sariähnlichen Kleid aus wild gemustertem Stoff. Kai sah sie von oben bis unten an und konnte sich ein Grinsen sichtlich kaum verkneifen. Paula fiel sofort auf, wie blass sie war. Ihre Haut wirkte wie durchscheinend.
»Sie war sehr schön.« Paula lächelte. »Ich habe ihre Schönheit geliebt.«
»Sie... äh... waren...?«
Paula lächelte wieder. »Ja. Wir hatten was miteinander.« Sie wurde wieder ernst, und es sah aus, als fiele ein Schatten auf ihr Gesicht. »Anfangs schon. Ich war sehr verliebt in sie.«
»Und dann?«
»Sessions. Wir hatten eine Reihe von Sessions, und ich habe gesehen, wie weit sie war.«
»Weit? In Bezug auf was?«
»Im Kontaktieren der Geister«, sagte Paula, als sei das etwas völlig Alltägliches. »Sie war viel besser als ich. Viel weiter.«
»Viel weiter. Das heißt was?«
»Sie hatte mit Geistern Kontakt aufgenommen, die... gefährlich sind. Verstehen Sie, Hexen wie ich machen eigentlich nur weiße Magie. Das ist Magie, die niemandem schadet, sondern nur hilft. Mehr wollen wir nicht - nur helfen und heilen. Aber Kai brachte mich dazu weiterzugehen. Ich wollte das eigentlich nie, aber ...« Paula schluckte, als könnte sie nicht weitersprechen. Sie begann zu husten. Die Sonne verschwand hinter einer Wolke, und im Zimmer wurde es dunkler und kühler. Paula hustete weiter. Mona beugte sich zu ihr. »Was ist los?«
»Spüren Sie es?«, flüsterte Paula. Ihr Husten ließ nach, aber ihre
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