Untreu
Stimme war heiser geworden.
»Was soll ich spüren? Da ist nichts.«
»Die Dunkelheit. Die Kälte. Das ist Er. Er will nicht, dass man über Ihn spricht.«
»Wer er?«
Paula schwieg. Die Atmosphäre hatte sich verändert. Etwas Bedrohliches stand im Raum.
»Es ist zu spät«, sagte Mona. »Sie müssen mir jetzt alles sagen.« Irgendetwas an Paulas Angst hatte einen realen Kern. Oder bildete sie sich das ein? Vielleicht war Paula tatsächlich verrückt, und sie verschwendete hier ihre Zeit. Vielleicht hatte sie aber auch etwas erlebt, das sie verrückt gemacht hatte.
»Wer ist Kai?«, fragte Mona behutsam. »Was hat sie mit Milan Farkas zu tun?«
»Sie hat ihn gekannt. Sie hatte ein Foto von ihm.«
»Ein Foto von Milan?«
»Einmal als wir ... im Bett waren, habe ich danach ihre Hosentaschen durchsucht. Ich wollte wissen... wer sie war. Ich kannte sie nur unter Kai, ich hatte keine Telefonnummer, keine Adresse, nichts. Sie hat nie über sich oder ihr Leben geredet.«
»Haben Sie denn gefragt?«
»Sie hat immer nur gelächelt, wenn ich das Thema darauf bringen wollte. Sie war ... wie eine Art Engel.«
»Aber Sie wollten wissen, wo dieser Engel herkam.«
»Ja, ich... Als sie einmal duschen war, nachdem wir... habe ich ihre Hosentaschen durchsucht. Ich habe nichts Spezielles gesucht, nur irgendwas, einen Hinweis auf...«
»Sie wollten wissen, wer sie war. Wer war sie?«
»Ich habe ihren Personalausweis gefunden. Kai Lemberger. Und neben ihrem Ausweis fiel dieses Foto heraus. Ein kleines Foto, wie man es im Passbildautomaten macht.«
»Wieso hatte sie das bei sich?«
»Das konnte ich sie doch nicht fragen! Sie wusste ja nicht, dass ich...«
»Paula. Hat diese Kai je über Milan Farkas gesprochen?«
»Ja. Aber erst später.«
Ihre sexuelle Beziehung war intensiv und leidenschaftlich, aber mehr schien Kai nicht von ihr zu wollen. Paula erfuhr nichts über sie, weil sie sich weigerte, über sich zu sprechen. Da Paula kein Auto hatte, konnte sie Kai nicht folgen. Unter dem Namen Lemberger gab es zehn Einträge im Telefonbuch, aber keine einzige Kai. Vielleicht wohnte sie noch bei ihren Eltern. Vielleicht war ihr das aus irgendeinem Grund peinlich, und sie veranstaltete deshalb diese Geheimniskrämerei. Sie rief bei allen zehn Lembergers an. Bei einigen erreichte sie immer nur den Anrufbeantworter, die anderen kannten kein Mädchen namens Kai.
Allmählich schienen ihr ihre gemeinsamen Seancen wichtiger zu werden als Zärtlichkeit und Sex. Sie begaben sich immer tiefer in die Welt der Geister, riefen Satan in all seinen rätselhaften Inkarnationen, verbrachten Stunden in ihrem abgedunkelten Zimmer. Kai kam nun mindestens jeden zweiten Tag, außer an den Wochenenden. Sie erschien meist gegen zwei, halb drei, sodass sie Paulas Arbeitsalltag nicht störte.
Nach einigen Monaten fiel ihr auf, dass die Treffsicherheit ihrer Vorhersagen zunahm. Gleichzeitig wurde sie ungeduldiger und reizbarer. Es gab einen Kodex unter den Hexen, der besagte, dass man Prophezeiungen, die mit Krankheit und Sterben zusammenhingen, grundsätzlich für sich behielt. Überhaupt sollten schlechte Neuigkeiten den Kunden nur mit großer Vorsicht beigebracht werden. Seitdem Paula mit Satan kommunizierte, fiel ihr genau das immer schwerer. Satan ist Wahrheit: Sie konnte nur noch unter großer Anstrengung jene barmherzigen Lügen weitergeben, die ihre seelisch oft angeschlagenen Kundinnen brauchten, um in ihren Alltag zurückkehren zu können.
»Sie haben sich verändert.«
»Ja. Seit Satan in meinem Leben ist, bin ich nicht mehr die, die ich war. Satan hatte uns gewarnt. Er hatte uns gesagt, dass jeder Kontakt mit ihm Konsequenzen für unser ganzes Leben haben würde. Ich habe einer Stammkundin gesagt, dass ihr Mann sie betrügt und demnächst verlassen wird. Ich hatte ihren Mann mit der neuen Frau gesehen. Ich musste ihr das einfach sagen.«
»Und dann?«
»Sie hat furchtbar geweint und kam nie wieder. Ich weiß nicht, was mit ihr ist.«
»Wollten Sie nie aussteigen?«
Paula sah mit ihren hellen Augen über Mona hinweg, auf die Wand gegenüber. »So gern. Aber wir waren schon zu weit gegangen. Satan lässt sich nicht einfach so wieder verbannen. Er will den ganzen Menschen, für immer und ewig, bis nach dem Tod. Er ist überall, man kann ihm nicht entkommen. Er ist die Wahrheit, und die Wahrheit kann man nie wieder vergessen. Ich habe gewusst, worauf ich mich einlasse. Niemand ist schuld außer mir.« Sie begann erneut bitterlich zu
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