Untreu
noch wach?«
»Glaub ich nicht. Er ist seit halb neun im Bett.«
»So früh?«
»Mein Gott. Er war müde. Magst du was essen?«
Mona setzte sich auf das edle schwarze Ledersofa. Das Licht war gedimmt, eine mit einer weißen Serviette ummantelte, entkorkte Flasche Rotwein stand auf dem Glastisch, im Hintergrund sang Mariah Carey. Antons Inszenierung eines romantischen Abends. Einen Moment lang liebte sie ihn so sehr, dass es wehtat: Dafür, dass er nicht zu den Männern gehörte, die mit ihren Gefühlen geizten, und dass er ihr - auf seine Art - die Treue hielt. Obwohl er eine bessere Frau verdiente. Eine, die auch in den Abendstunden wach und munter war. Eine, die nicht nur daran denken konnte, wie kurz ihr Schlaf auch heute Nacht sein würde und wie hart der nächste Tag.
»Nein danke. Wir haben uns Pizza bestellt.« Sie gähnte und spürte gleichzeitig seinen Blick. Die Frau, die immer müde war. Die Frau, die sich nichts schenken ließ. Die Frau, die bockbeinig auf ihrer Unabhängigkeit beharrte.
»Du ruinierst dir noch den Magen mit dem Zeug.« Er schenkte ihr ein.
»Danke, reicht schon. Ich muss auch bald ins Bett.«
»Ein Glas kannst du schon trinken.«
»Ja.« Sie seufzte unwillkürlich, als sich der schwere, herbe Geschmack des Weins in ihrem Mund ausbreitete. Langsam beruhigte sich ihr Atem, sie lehnte ihren Kopf an das Sofakissen. Anton rückte näher zu ihr und legte ihr den Arm um die Schulter.
Etwas an dieser Geste alarmierte sie. Sie setzte sich wieder auf.
»Was ist los?«
»Nichts.«
»Erzähl mir doch nichts. Irgendwas ist los.«
»Lukas ist... Er war...«, begann Anton. Seine Stimme klang anders, weniger gelassen als sonst.
»Was? Was ist mit Lukas?«
»Nichts. Beruhig dich.«
»Was war mit Lukas? Jetzt sag schon. Hat er wieder...« Sie verstummte. Eine Szene tauchte in ihrem Kopf auf, die sie vergessen wollte. Vergessen musste.
»Nein. Gar nicht. Er war nur so... Ich weiß nicht. Er hat nichts geredet. Und dann dieses Gesicht gemacht, als ob...«
»Als ob was?«
»Als ob er wieder diese Ängste hätte. Du weißt schon. Mit der Schule und dem ganzen Zeug.«
»Und? Hast du ihn gefragt?«
»Nein.«
»Mein Gott! Wieso nicht?«
»Weil das nichts bringt.« Anton nahm seinen Arm weg und wandte sich ab.
»Woher weißt du das, wenn du's nie versuchst?«
»Weil du das doch dauernd machst.
Lukas, geht's dir nicht gut? Lukas, willst du was essen? Lukas, wie wär's mit einem Spaziergang?
Ich seh doch, dass dabei nichts rauskommt, nichts. Man muss ihn in Ruhe lassen. Er schafft das, aber er muss es allein schaffen.«
Mona schwieg. Sie führten diese Diskussion nicht zum ersten Mal. Vielleicht hatte Anton Recht, vielleicht sie, vielleicht beide abwechselnd. Vielleicht - ein ketzerischer Gedanke - war es aber auch vollkommen egal, wie sie sich verhielten. Weil Lukas' Krankheit so oder so nicht heilbar war. Sie schloss kurz die Augen. Schließlich spürte sie Antons Hand an ihrer Wange.
»Hey. Und wie geht's dir?«
Ihr Groll schmolz, aber ein harter Rest blieb. »Ganz gut. Geht schon.«
»Bleibst du hier?«
»Nein. Ich muss auspacken, waschen, den ganzen Scheiß. Ich schau noch mal nach Lukas, dann muss ich los.«
»Er schläft bestimmt.«
»Trotzdem. Hat er was gesagt? Ich meine, ungefragt. Warum er wieder Angst hat, irgendwas in der Art?«
»Nein. Vielleicht hab ich mir das auch nur eingebildet. Er war einfach still, sonst nichts.«
»Sonst nichts? Wirklich?«
»Nein. Ehrlich nicht.«
Aber sie glaubte ihm nicht. »Ich schau noch mal in sein Zimmer.«
»Lass das doch. Du weckst ihn nur auf.«
Mona stand dennoch auf und lief leicht schwankend unter der Treppe hindurch zu seinem Zimmer. Sie öffnete vorsichtig die Tür. Lukas' Nachtischlampe brannte, weil er seit Monaten bei Dunkelheit nicht mehr schlafen konnte. Sonst schien alles normal zu sein. Es roch käsig nach seinen Nikes, und Mona hörte seinen ruhigen, tiefen, leicht unregelmäßigen Atem. Sie ging an sein Bett, obwohl sie wusste, dass Lukas es hasste, aufzuwachen und ihr besorgtes Gesicht zu sehen.
Sie hörte Antons leise Schritte hinter sich und drehte sich um. Er legte den Arm um ihre Schultern. Einen Moment lang duldete sie das, dann schüttelte sie ihn ab. Er interessierte sich nicht für ihre Gedanken, und sie durfte nichts von seinen Plänen wissen. Es gab keinen echten Austausch zwischen ihnen, kein Verständnis, das ihre unterschiedlichen Charaktere hätte überbrücken können, überhaupt nichts, was
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