Untreu
zu geben. Er sah vor sich auf die Straße. Seine Augen drohten feucht zu werden, und er wusste, dass es jetzt darauf ankam, diesem verführerischen Impuls nicht nachzugeben. Mona konnte ihn nicht trösten.
Er war allein.
Seine Augen begannen zu schwimmen. Er starrte weiter geradeaus, vorsichtig Luft holend, verzweifelt bemüht, keinen verräterischen Laut von sich zu geben.
Plötzlich standen sie neben einem parkenden PKW. Mona drehte sich um und fuhr das Auto rückwärts in eine Parklücke. »Heul dich aus«, sagte sie anschließend ganz ruhig. Sie behielt beide Hände am Steuer und sah ihn nicht an. Bei Bauer brachen sämtliche Dämme. Er verbarg sein Gesicht in den Händen und begann zu schluchzen, laut, abgehackt, verzweifelt, peinlich berührt von den schrecklichen Geräuschen, die er fabrizierte. Minuten vergingen, die ihm wie Stunden vorkamen, aber er konnte trotzdem nicht aufhören. Sollten sie ihn doch feuern, dachte er mittendrin. Dann hatte er eben versagt. Dann war das hier kein Job für ihn.
Er spürte eine Berührung an der Schulter. Sie war warm und fest. Er versteifte sich automatisch, und langsam verebbte sein Weinkrampf.
»Ich hab leider kein Taschentuch dabei«, hörte er Mona sagen. Er zog den Rotz mit Gewalt in der Nase hoch und schluckte ihn runter. Er schmeckte so bitter wie seine Tränen. Seine Ohren fielen zu. »Entschuldigung.« Seine Stimme hörte sich dumpf und heiser an. Er wischte sich mürrisch die Tränen aus dem Gesicht.
»Ich brauche keine knallharten Typen«, sagte Mona. Bauer hob langsam den Kopf und traute sich zum ersten Mal, sie anzusehen. Auch sie hatte sich ihm zugewandt. Ihre braunen Augen waren fest und sicher auf die seinen gerichtet. »Ich sag das jetzt nicht einfach nur so, Patrick. Ich will Leute wie dich, die sensibel sind. Natürlich dürfen sie nicht nur sensibel sein. Das Ganze macht keinen Sinn, wenn du vor jeder Vernehmung anfängst zu heulen. Das würde irgendwann nicht mehr funktionieren.«
Bauer lachte schwach. Weinen war Stress. Er hatte leichte Kopfschmerzen davon.
»Aber ich will, dass du dir das bewahrst. Deine Gefühle. Dein Mitleid. Wenn du das schaffst, ohne dich von all dem Elend schaffen zu lassen, dann wirst du richtig gut. Du hast alles, was du brauchst, um gut zu werden.«
»Glaubst du?«
»Ja. Aber wenn dich diese Arbeit fertig macht - dann lass sie sein. Manche kommen damit klar, andere nicht. Es ist keine Schande, wenn du es nicht schaffst, es ist eine Entscheidung. Aber die kann dir keiner abnehmen. Du musst wissen, wie weit du gehen kannst.«
»Okay.«
»Wenn du zu viel denkst in diesem Job, gehst du kaputt daran. Warum tun Menschen anderen Menschen so was an, was ist das für eine Welt, in der so was möglich ist... Das sind die Dinge, die du nicht denken darfst. Es ist, wie es ist. Es gibt Schweine, und es gibt gute Menschen. Damit musst du klarkommen.«
»Okay.«
»Wenn du alle drei Tage deinen Moralischen kriegst, bist du bei uns falsch. Das heißt nicht...«
»Ich weiß, was du meinst.«
»Geht's dir besser? Sei ehrlich. Willst du freihaben für den Rest des Tages? Ist kein Problem für mich.«
Bauer schüttelte den Kopf. Es ging ihm nicht wirklich besser. Aber eine leere Wohnung war nicht das, was er jetzt brauchte. »Ich bin... Mir geht's wieder gut. Lass uns weiterfahren.«
Mona lachte leise. »Wir sind da. Marsstraße 120. Lass uns mal schauen, was Milan Farkas heute vorhat.«
Vielleicht gibt es keinen Gradmesser für Liebe, vielleicht bemisst sie sich ausschließlich nach der Stärke des Gefühls - egal, um welches es sich handelt. Mein Gefühl ist heute ein unendlicher Schmerz für das, was du mir angetan hast. Je stärker der Schmerz, desto stärker die Liebe? Ist es das, was du mir beibringen wolltest?
Ich betrachte meinen Körper im Spiegel. Er ist voller blauer Flecken und blutiger Kratzer. Ich muss lange Hosen und langärmelige T-Shirts tragen, und dabei ist Sommer. Dennoch bin ich stolz auf ihn, wie nach einem gewonnenen Kampf. Denn ich habe gekämpft um dich, und ich setzte alles auf Sieg, was ich habe - auch meine körperliche Unversehrtheit. Ich weiß, dass das kein Fehler war, auch wenn der Rest der Welt es so sehen würde. Tief in uns ahnen wir doch alle, dass Schmerz und Lust eine unauflösliche Einheit bilden. Ich wollte es bislang nicht wissen und bekam nun die Quittung für mein beharrliches Wegschauen. Ich habe sie gern in Empfang genommen, wenn auch nicht freiwillig.
Ich betrachte mich im Spiegel
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