Untreu
lächelte grimmig. Ihre Schwester Lin hatte Recht, sie verdiente es nicht, ein Kind zu haben. Sie wollte ihren Job richtig machen, und sie wollte eine gute Mutter sein, aber beides ließ sich einfach nicht vereinbaren.
Mona holte tief Luft und nahm einen Stapel Pullover aus dem Schrank. Dann die Stapel mit den T-Shirts, Hemden, Unterhosen und Socken. In den Fächern dahinter war nichts. Kein Versteck, kein doppelter Boden. Mona langte in Blazer- und Hosentaschen und fand nichts außer den üblichen Papierwürstchen, Tabakkrümeln und einigen zusammengeknüllten Zetteln mit schwer lesbaren Vornamen und Telefonnummern. Karin Belolaveks Name und Nummer waren nicht dabei. Dafür ertastete sie ein halbes Gramm in Silberpapier gepacktes Haschisch.
Mona schälte das Papier ab und hielt sich die dunkle Masse an die Nase. Die Substanz fühlte sich ölig an und roch angenehm nach Wald. Mona ertappte sich bei dem Wunsch, dieses würzige, harzig duftende Zeug zu rauchen. Idiotische Idee, sie wusste ja nicht einmal, wie man einen Joint drehte. Sie wickelte das Kügelchen wieder ein und steckte es in die Hosentasche zurück. Aus dieser geringen Menge konnten sie Farkas keinen Strick drehen. Das war keine Dealerware, sondern Konsum, und Konsum mussten sie ihm erst mal nachweisen - schließlich war Mona illegal hier.
Ihr fiel zum ersten Mal auf, wie still es in der Wohnung war. Man hörte den Verkehr als beständiges, ab und zu durch Hupen oder Polizeisirenen durchbrochenes Rauschen, aber innerhalb des Hauses schien alles tot zu sein. Vielleicht lag das nur an der Uhrzeit, vielleicht standen auch viele der Wohnungen leer. Mona fröstelte und legte Farkas' Kleider wieder zurück in den Schrank. Unter der Spüle in der Kochnische fand sie ein paar abgestoßene Teller, Gläser und Tassen, aber ebenfalls kein Versteck - für was auch immer. Wie konnte ein Mensch so leben, so vollkommen reduziert auf die täglichen Bedürfnisse? Mona öffnete den Kühlschrank und sah einen angebrochenen halben Liter Milch, drei verschrumpelte Orangen und ein Stück Paprikasalami, die roch, als hätte sie ihr Haltbarkeitsdatum weit hinter sich gelassen.
Männer wie Farkas, dachte Mona, mussten so leben, weil ihnen nichts anderes übrig blieb. Sie hatten keine Mütter, von denen sie hätten lernen können, wie man ein Heim freundlich und einladend gestaltete, und ihre Väter waren entweder brutal oder abweisend oder nie zu Hause. Was passierte mit den Söhnen? Sie befanden sich immer auf der Durchreise und kamen nie ans Ziel. Sie kannten sich von der Straße, von Raubzügen, Rauscherlebnissen und aus dem Knast. Sie tauchten auf und ab, geschmeidig den Verhältnissen und Erfordernissen einer gnadenlosen Umwelt angepasst. Sie bildeten flexible Netzwerke im Untergrund, die sich ständig veränderten und deshalb von der Polizei nicht zu zerschlagen waren. Sie pflegten kaum Freundschaften, aber jede Menge Zweckgemeinschaften. Manchmal verdienten sie in wenigen Stunden so viel Geld wie ein Manager in einer Woche, aber jedes Mal zerrann es ihnen zwischen den Fingern. Nichts blieb ihnen außer einer beständigen Verlusterfahrung. Sie waren resistent gegen die Versuche von Sozialarbeitern und Bewährungshelfern, ihnen in eine Welt zu helfen, die sie einerseits beneideten und andererseits verachteten und der sie niemals angehören würden, weil sie ihre Regeln nicht verstanden.
Sie wurden nicht alt. Sie starben fast alle so arm, wie sie geboren worden waren.
Auf dem Boden des Schranks lag, wie vergessen, eine verstaubte Kamera. Mona nahm sie in die Hand. Es war keine Digitalkamera, sondern eine dieser älteren billigen Kompaktkameras. Mona schaltete das Licht aus, und öffnete die Kamera. Es war kein Film darin. Sie schloss die Kamera und machte das Licht wieder an. Sie legte das Gerät zurück, tastete den Boden des Schranks ab. Kein doppelter Boden, kein Versteck. Sie machte den Schrank zu und schloss das Kästchen unter der Spüle. Sie sah sich um, ob sie etwas vergessen hatte. Sie untersuchte die Teppichfliesen, eine nach der anderen. Keine saß locker, keine eignete sich für ein Versteck. Keine Geheimnisse in diesem Zimmer.
Vorsichtig öffnete sie die Tür. Der dunkle Gang schien leer zu sein. Sie schaltete das Licht im Zimmer aus und zog die Tür vorsichtig hinter sich zu.
Einen Moment später hörte sie ein Rascheln hinter sich. Sie verharrte mitten in der Bewegung. Totale Stille umhüllte sie wie ein weiches Tuch, und dennoch glaubte sie zu spüren,
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