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Untreu

Titel: Untreu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa v Bernuth
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dass da jemand war. Ihre Nackenhaare stellten sich langsam auf. Sie atmete lautlos durch die Nase. Wenn hier jemand war, dann hatte er etwas vor, das mit Monas Anwesenheit zusammenhing. Er. Oder sie. Mona zählte langsam bis sechzig und bewegte sich dabei so lautlos wie möglich an der Wand entlang Richtung Lift. Währenddessen holte sie ihre Pistole aus dem Halfter. Dann glitt sie in einen Eingang, presste sich an die Tür und blieb mit der Pistole in der Hand stehen. Sie hoffte, dass sich ihre Augen bald an die Dunkelheit gewöhnten.
    Wieder gab es ein Rascheln, diesmal begleitet von einem Geräusch, das wie ein unterdrücktes Stöhnen klang. Mona wartete. Sie wusste, dass die Person, die da im Dunkeln lauerte, ihr gegenüber im Vorteil war. Die Person kannte Monas ungefähren Standort, Mona hingegen konnte das Rascheln nicht präzise orten. Sie wusste nur, es war links von ihr gewesen. Das bedeutete, dass sich die Person zwischen Farkas' Wohnung und dem Lift aufhielt. Mona musste also so oder so an ihr vorbei.
    Wer war das?
    Ihr brach der Schweiß aus, die Pistole in ihrer Hand fühlte sich mit einem Mal glitschig an. Aber Mona rührte sich nicht. Schließlich, nach mehreren Minuten, spürte sie den kaum wahrnehmbaren Luftzug einer ganz leichten Bewegung. Sie streckte unwillkürlich ihre Hand aus und berührte die Haut eines anderen Menschen. Sie griff zu, rasch, bevor der andere reagieren konnte. Ihre Hand schloss sich um ein Handgelenk, das sich zart anfühlte wie das einer Frau, eines jungen Mädchens oder eines noch nicht ausgewachsenen männlichen Jugendlichen.
    Ein kurzer wuterfüllter Laut ertönte, und dann wurde Mona unvermutet angegriffen. Jemand stürzte sich auf sie, presste sich mit seinem (ihren?) Körper an sie, legte seine (ihre?) Hände um Monas Hals und drückte ihren Nacken an die Wand. Mona war gefangen wie in einem Schraubstock. »Wer bist du, du Nutte?«, zischte eine hasserfüllte, tonlose Stimme, die Mona nicht zuordnen konnte. Sie erkannte nicht einmal, ob sie weiblich oder männlich war. Sie roch den schwachen Duft eines herben Parfüms, der ihr erst bekannt vorkam, dann wieder überhaupt nicht, dann blieb ihr endgültig die Luft weg, und eine Welle der Panik überschwemmte sie. Sie stieß die Pistole nach vorn, in weiches, nachgiebiges Fleisch, aber der Druck auf ihre Kehle ließ nicht nach.
    Ich muss schießen
, dachte Mona, aber wie konnte sie das tun: eine Person niederschießen, die sie nicht einmal sah? Schließlich zog sie die Pistole von der Person weg und schoss in die Luft. Der Knall war ohrenbetäubend, und keine Zehntelsekunde später pfiff ein Querschläger nah an ihrem Ohr vorbei. Ein entsetzter Schrei ertönte, aber es war nicht ihr Gegner, der (die?) schrie, sondern eine Frau hinter einer der stummen Türen.
    Mona ließ mit der Kraft der Verzweiflung ihr Knie hochschnellen und traf offenbar eine Stelle, an der es wehtat. Denn endlich lösten sich die Hände von ihrem Hals. Mona hustete. Der Angreifer lief weg, sie hörte nur noch seine sich entfernenden Schritte. Es handelte sich um jemanden, der sich hier auskannte, denn die Schritte klangen trotz der Dunkelheit fest und sicher. Vielleicht zehn Meter von Mona entfernt öffnete sich eine Tür, die nach einer schweren Feuertür klang. Mit einem satten Plopp fiel sie zu, und die Stille kehrte zurück. Auch in den Wohnungen regte sich nichts. Niemand stürzte mit einer Taschenlampe auf den Gang und versuchte zu helfen. Niemand schien wissen zu wollen, was passiert war. Es war, als ob stattdessen alle Bewohner die Luft anhielten, so lange, bis die Gefahr vorbei war und Störenfriede wie Mona endlich das Haus verlassen hatten.
    »Bleiben Sie stehen!«, rief Mona mit heiserer, überschnappender Stimme sinnlos in die Luft, viel zu spät. Sie wollte sich von der Wand abstoßen, aber ihre Knie knickten unter ihr weg. Langsam glitt sie, die Pistole immer noch in der Hand, zu Boden. Ihre Kehle schmerzte, als wäre sie von innen verätzt worden. Mona stöhnte leise. Sie bekam nicht genug Luft. Es war nicht genug Sauerstoff da für sie, sie würde ersticken. »Hilfe«, krächzte sie, aber niemand half. Hier nicht.
    Nach endlosen Minuten kroch sie zum Lift. Langsam erholte sich ihre Atmung, kehrte die Kraft in ihre Glieder zurück. Sie hatte Glück gehabt. Keine Gehirnerschütterung, nicht einmal eine Prellung, nur bestimmt eine hässliche, rote Stelle an ihrem Hals, die in ein paar Tagen wahrscheinlich blau und grün aussehen würde.

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