Untreu
wahrhaben zu wollen, dass es keinen Weg zurück gab und dass jetzt die Zeit gekommen war, Abschied zu nehmen. Langsam kamen ihm die Tränen. Er nahm es ihr und all den anderen nicht übel, er wollte nun ihr und all den anderen verzeihen: Vielleicht würde diese noble Geste Gott rühren und ihn noch einmal umstimmen. Aber Gott ließ sich nicht bestechen. Er bestand darauf, dass sich Milan auf den Weg ins Licht machte, in eine schöne oder entsetzliche Zukunft, ganz wie es Gott gefiel. Milan lächelte nun trotz seiner Schmerzen und ließ endlich los. Der Tunnel war inzwischen ganz nah.
»Wer hat ihn gefunden?«
»Eine Studentin. Wohnt gegenüber von den Belolaveks bei ihren Eltern. Kam um vier nach Hause.«
»Zu Fuß?«
»Mit dem Auto«, sagte der Polizist. »Sie hat ihn bloß zufällig auf dem Gehweg liegen sehen. Sie hat angehalten und...«
Er verstummte, weil er merkte, dass sie ihm nicht zuhörte. Warum war Bauer da draußen gewesen, ging es ihr durch den Kopf. War er Farkas dorthin gefolgt? Hatte der ihn zum Grundstück der Belolaveks gelockt, um ihn dort umzubringen? Aber warum? Und was hatte Farkas sonst dort gewollt? Hatte er in Wahrheit mehr mit dem Mord an Thomas Belolavek zu tun, als er ihr gegenüber zugegeben hatte? Hatte er sie tatsächlich nur angelogen, wie Wilhelm Kaiser von Anfang an behauptet hatte? Mona stützte den Kopf in die Hände. Alles schwarz, hoffnungslos schwarz. Bauer sei schwer verletzt, hatte ihr eine der OP-Schwestern mitgeteilt
. Innere Blutungen. Leber, Lunge, Milz sind geschädigt. Wir schauen halt, was wir tun können
. Der Dienst habende Arzt, mit dem sie anschließend sprechen konnte, hatte erschöpft gewirkt, als sei er schon seit vielen Stunden auf den Beinen.
Er hat viel Blut verloren. Schlechter Allgemeinzustand übrigens. Geschwächt und zu mager für seine Größe.
Es war halb sechs Uhr morgens, die Notaufnahme war jetzt fast leer. Von irgendwoher hörte man gedämpftes, qualvoll langes Husten. Ein Rollbett stand auf dem Gang, als hätte es jemand dort vergessen. Darin lag eine alte stumme Frau, eine kaum sichtbare Erhebung unter einer dünnen weißen Decke. Niemand sah nach ihr, niemand kümmerte sich um sie. Vielleicht lebte sie gar nicht mehr.
Mona war schuld. Sie hatte Bauer allein losgeschickt, obwohl Observierungen der Regel nach nur zu zweit erledigt wurden. Sie war schuld, sie würde für ihren Fehler bezahlen müssen. Zu Hause lag ihr Sohn allein in hoffentlich tiefem Schlaf. In einer halben Stunde war es sechs, dann konnte sie bei Lin anrufen und sie bitten, Lukas zu holen, damit er wenigstens ein Frühstück bekam. Mona dachte, dass es ihr schlechter nicht mehr gehen konnte. Bauer war zu jung und zu unerfahren für diese Aufgabe gewesen, und sie hatte das gewusst. Wenn er jetzt starb, war sie dafür verantwortlich.
Der Polizist, der die Aussage der Studentin aufgenommen hatte, räusperte sich. Mona sah hoch, direkt in sein kindlich eifriges Mondgesicht.
»Kann ich dann gehen?«, fragte er. »Ich hab noch zwei Stunden Dienst.«
»Ja. Sicher. Du musst ein Protokoll schreiben, das weißt du ja.«
»Bei Dienstschluss um acht. Wer kriegt das?«
»Ich. Und KD Berghammer.«
»KD...«
»Berghammer. Leiter vom Dezernat 11.«
Und wer noch alles? Das würde sich erweisen. Vielleicht beim Disziplinarverfahren, das man ihr anhängen würde.
»Also, dann geh ich jetzt.«
»Ja, sicher.«
Aber der Polizist zögerte noch. »Alles klar mit dir? Ich meine...«
»Du kannst ruhig gehen«, sagte Mona. »Bei mir ist alles in Ordnung.«
Am anderen Ende des Ganges sah sie zwei Männer, einer im Mantel mit wehenden Schößen, einer in Lederjacke auf sich zukommen. Es waren Berghammer und Fischer. Sie schloss kurz die Augen und wappnete sich. Dann sah sie ihnen gefasst entgegen.
»Wie geht's ihm?«, fragte Berghammer.
»Sie operieren gerade. Schwere innere Verletzungen. Sie wissen nicht, ob sie ihn durchbringen.«
Berghammer nickte, ohne Mona anzusehen. Schwerfällig setzte er sich auf einen der Klappstühle neben ihr. Das Neonlicht ließ seine sonst schwammigen Züge schärfer und klarer erscheinen. Vielleicht hatte er auch ein paar Pfund abgenommen. Fischer blieb vor ihnen beiden stehen, mit undefinierbarem Gesichtsausdruck. Das war seine Chance, sie zu beerben. Wenn er auf ihren Posten scharf war, bot sich jetzt eine erstklassige Gelegenheit.
Und wenn schon.
»
Der Auftrag kam von mir«, sagte Mona, bevor Berghammer fragen konnte.
»Der Auftrag
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