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Untreu

Titel: Untreu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa v Bernuth
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lebendig geworden, und auf eine gewisse Art entspricht das sogar der Wahrheit. Tod gebiert neues Leben: So lange die Erde existiert, funktioniert dieser unendliche Kreislauf.)
    Die Augenhöhlen sind nun leer, im Rippenbereich spannen sich verbliebene Hautfetzen, der Bauch wird zur Kraterlandschaft. Der Haarschopf fällt ab, das Gesicht ist nicht mehr länger als solches zu erkennen. Die Mundwerkzeuge der Maden ähneln winzigen Baggern. Sie können nur schaben und kratzen, nicht beißen. Aus diesem Grund bleibt die Kleidung oft intakt. Sie wird durchtränkt von Faulleichenflüssigkeit und verfärbt sich dunkel.

Kapitel 1
    Milan Farkas lag mit offenen Augen im feuchten Gras und spürte, dass das Leben aus ihm entwich wie Gas aus einem defekten Ballon. Er glaubte, es zu hören. Ein leises, unheimliches
Fffffhhhh.
Es gab so viele brennende Schmerzherde an und in seinem Körper, er konnte sie gar nicht zählen. Mühsam versuchte er, den Kopf zu heben. Er suchte nach Licht, einer Spur von Wärme, einer tröstlichen menschlichen Stimme, aber um ihn herum waren nur Nacht und Kälte und ein bedeckter Himmel, der Mond und Sterne abschirmte. Milan wimmerte leise. Ihm war übel. Er hätte gern etwas gesagt, etwas gefragt, aber die Einsamkeit um ihn war total. Er wandte seinen Kopf nach links und sah den bewegten Schattenriss eines Menschen. Wieder wimmerte er. Er hatte keine Angst mehr, aber er fühlte sich so unendlich allein.
    Der Mensch beachtete ihn nicht. Er stand mit dem Rücken zu ihm und war keuchend damit beschäftigt, ein Loch zu graben. Milan konnte das nicht sehen, aber er hörte das trocken schabende Geräusch, das entsteht, wenn sich eine Schaufel in harten Boden arbeitet. Langsam kam ihm die Erkenntnis, dass dieses Loch für ihn bestimmt war.
Erde zu Erde
. Er stöhnte entsetzt. Adrenalin schoss durch seine Adern und verlieh ihm trügerische Energie: Er setzte sich auf. Sofort begann der Schmerz wieder zu toben. Seine Stirn war im Nu schweißnass, ihm wurde schwindelig und schlecht. Rasch legte er sich wieder hin. Er begann nachzudenken, vielmehr: sich in rasender Geschwindigkeit alle Optionen vor sein inneres Auge zu rufen. Darin war er gut, das wusste er. Nur waren seine Handlungsmöglichkeiten derart eingeschränkt, dass man geradezu von ihrer Nichtexistenz sprechen konnte. Es waren rein hypothetische Überlegungen, die er sich da leistete, matt gesetzt und völlig wehrlos, wie er war.
    Er konnte seinem Schicksal nicht entkommen. Noch einmal dachte er daran, wie verführerisch sein Verderben angefangen hatte. Der Gott der Liebe, dachte er ironisch, war in Wirklichkeit sein Todesengel gewesen. Diese Formulierung gefiel ihm; sie war poetisch und dramatisch. Er hörte das Rauschen hoher Bäume um sich herum. Ein leiser Windzug kühlte seine Wangen. Ihm wurde plötzlich ganz warm. Blutrote Schleier wallten vor seinen Augen; im Hintergrund erkannte er einen breiten, sich gegen Ende verjüngenden Lichttunnel. Noch einmal packte ihn die Angst vor dem, was nun kommen würde, egal, ob es nun entsetzlich oder wunderschön sein würde.
    Freunde tauchten vor ihm auf. Sie sagten:
Hey, Milan, Alter, ist ja total scheiße gelaufen bei dir, tut mir echt Leid. Ich muss weiter, ich hab diese krasse Sache am Laufen, totales Risk, aber maximale Möglichkeiten, bist du noch mit der Alten zusammen? Zahlt sie gut?
Er sah seine Mutter, diese fiese, fette Kuh, die ihn verprügelte, um sich anschließend in ihrem Selbstmitleid zu suhlen.
Milan, mein Junge, ich will doch nur, dass du mal hier rauskommst aus diesem Loch. Ich liebe dich, aber wenn du nicht wärst - man sieht's nicht mehr, aber ich war damals die schärfste Braut im Viertel, ich hätte jeden haben können, aber dann fall ich auf deinen Vater rein, dieses Schwein, diesen Lügner...
Er hatte alte Fotos von ihr gesehen, scharfe Braut, guter Witz! Fett war sie schon immer gewesen mit viel zu großen Brüsten und gefärbter blonder Mähne.
    Schließlich sah er Karin B. So hatte er sie genannt, Karin B. Ihre Liebe war sein Tod, so einfach war das. Liebe konnte mörderisch sein. Er war ihr nicht mehr böse. Er war kurz davor, sich damit abzufinden. Ihr Bild verschwamm, und ein letztes Mal riss er die Augen auf, versuchte, sich an etwas Lebendigem zu orientieren - irgendetwas, und sei es nur ein Grashalm. Aber die Welt um ihn herum war pechschwarz. Er glaubte, jemanden neben sich zu spüren, er versuchte, etwas zu sagen, aber kein Laut verließ seine Kehle. Er wusste, ohne es

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