Unverhofft kommt oft
zeigte mit dem Kopf zum Fenster.
„Was denn?“, fragte Sofia und folgte dem Blick ihrer Cousine.
Da stand doch tatsächlich Julian vor dem Laden und winkte ihr zu, machte Zeichen, dass sie herauskommen solle. Sie bediente ihren Kunden zu Ende, sah sich schnell um, ob ihr Vater in der Nähe war – das war er in den letzten Tagen nämlich ständig – und fragte dann Roberta: „Kommst du eine Minute ohne mich aus?“
„Geh schon“, sagte sie und Sofia eilte hinaus.
„Julian. Was machst du denn hier? Ich habe nur eine Minute, im Laden ist die Hölle los. Ich hoffe doch sehr, dass es was Wichtiges …“
Julian unterbrach ihr aufgeregtes Geschwafel, das sie selbst nicht verstand, indem er ihr mit beiden Händen etwas vors Gesicht hielt. Sie musste zweimal drauf gucken und sah dann in Julians strahlendes Gesicht.
„Was ist das?“
„Schau ruhig noch einmal hin, dann kommst du vielleicht von selbst drauf.“
Sie tat es und konnte doch noch immer nicht glauben, was sie vor sich sah. Ein Scheck, ausgestellt auf ihren Namen über einen Betrag von 840,- Dollar.
„Mamma mia, heißt das etwa …?“
„Wir haben dein erstes Bild verkauft!“, rief er freudig.
„Jaaaaa!“ Vor lauter Begeisterung fiel sie Julian um den Hals und er hob sie einige Zentimeter in die Luft.
„Scheiße, das kann doch nicht wahr sein!“, rief sie aus und einige Kunden, die gerade den Laden betreten wollten, sahen sie neugierig an.
„Es ist wahr“, bestätigte Julian.
„Aber …“ Sie nahm den Scheck jetzt an sich und betrachtete ihn erneut. „Ich bin zwar kein Mathe-Genie, aber selbst ich kann mir ausrechnen, dass 70 Prozent von 800 Dollar nicht 840 Dollar sind.“ Sie sah ihn fragend an.
„Also, das war so“, begann er zu erläutern. „Es kamen zwei ältere Damen in die Galerie. Die waren befreundet, die Betonung liegt auf waren , denn nachdem sie sich erst einmal um dein Bild gestritten haben, bezweifle ich, dass sie es jetzt noch sind.“
„Oh nein, sie haben sich um mein Bild gestritten? Um welches denn?“
„Um das kleine Mädchen mit den Zöpfen. Sie waren beide ganz verzaubert davon. Die eine sagte, sie wolle es kaufen, die andere sagte das Gleiche, dann fingen sie mit mir an und begannen zu bieten. Der Preis stieg immer weiter an und eine der beiden gab bei 1.200 Dollar klein bei.“
Sofia schnappte nach Luft. Es hatte wirklich jemand eintausendzweihundert Dollar für eines IHRER Bilder ausgegeben?
„Oh Gott, ich krieg keine Luft mehr“, sagte sie und beugte sich vornüber, atmete ein paarmal tief durch. Dann erhob sie ihren Blick wieder und sah die imposante Transamerica Pyramid, das höchste Gebäude San Franciscos mit seiner spitz auslaufenden Form, vor sich. „Weißt du eigentlich, wie dringend ich dieses Geld benötige? Ich habe gestern meine letzten Dollars für eine Pizza ausgegeben. Ich bin sowas von pleite.“
„Na, das reicht jetzt erst mal für ein paar Pizzas.“ Julian lächelte sie glücklich an. Er hatte natürlich auch ein gutes Geschäft gemacht, und er schien langsam zu begreifen, was er an ihr hatte. „Was hältst du davon, wenn wir am Freitagabend miteinander essen gehen, den Verkauf gebührend feiern und eventuell überlegen, wie unsere Zusammenarbeit in Zukunft aussehen soll?“
„Aber gerne. Hol mich um halb neun zu Hause ab. Ich kann es kaum erwarten.“
Sie umarmte ihn ein letztes Mal und lief dann rein in den Laden.
Roberta hatte alle Hände voll zu tun, als Sofia zurückkam, trotzdem ließ sie sich nicht davon abhalten, sie einmal heftig in den Arm zu nehmen. Dann stürmte sie in die Backstube und wiederholte die Geste bei allen Anwesenden, selbst bei Alessia mit ihrem runden Bauch und Tom, der dumm aus der Wäsche guckte.
„Was ist denn in dich gefahren?“, fragte Carla überrascht.
„Ich bin so glücklich!“, erwiderte Sofia nur und stellte sich wieder hinter die Theke, um Roberta aus der Patsche zu helfen, in die sie sie gebracht hatte. Die Schlange ging bereits bis nach draußen.
„Was gab es denn so Dringendes?“, fragte Roberta beiläufig, als sich der Ansturm ein wenig gelegt hatte. Sofia wusste genau, dass Roberta sie und Julian durch das Fenster gesehen hatte, auch die Umarmung.
„Ich habe mein erstes Bild in seiner Galerie verkauft“, gab sie ehrlich zur Antwort.
„Da gratuliere ich“, war alles, was Roberta sagte, dann setzte sie wieder ihr miesepetriges Gesicht auf. Doch davon würde Sofia sich heute nicht ihre Laune verderben
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