Unwiderstehlich untot
die Jogginghose, die ich in einem Souvenirladen gekauft und in denen in geschlafen hatte. Niemand schien gewusst zu haben, wo mein Gepäck steckte, und Françoises Kram war gut zehn Zentimeter zu lang für mich.
»Was wollen Sie?«, fragte ich und kämmte mir mit den Fingern das Haar.
»Du brauchst nicht gleich schnippisch zu werden, Schätzchen. Und wenn du nicht in irgendeinem Lagerraum aufwachen willst, ohne zu wissen, wie du dort hingekommen bist, solltest du besser mit dem Trinken aufhören.«
»Ich trinke nicht! Ich weiß genau, wie ich hierhergekommen bin. Ich war… Moment mal!« Ich unterbrach mich und sah zur immer noch verriegelten Tür. »Wie sind Sie hereingekommen?«
Begehrenswert hörte mir gar nicht zu. Sie zog ein silbernes, mit Edelsteinen besetztes Handy aus dem tiefen Tal zwischen ihren gewaltigen Brüsten und stach mit einer karmesinroten Kralle darauf ein. »Gib mir Begnadet«, teilte sie dem Mobiltelefon mit. Und nach einer kurzen Pause: »Schluss mit dem Unfug! Sie soll aufhören, sich herauszuputzen, und ans Telefon kommen!« Es kam zu einer zweiten Pause, und Begehrenswert rollte mit den Augen. »Begnadet, dass ich nicht lache!«, sagte sie zu mir. »Sie sollte sich Bescheuert nennen. Geht inzwischen auf die sechzig zu. Selbst mit noch so viel Make-up kann sie nicht… Oh, Be, du begnadetes Geschöpf…«
Mein Magen beklagte sich mit lautem Knurren, und außerdem hatte ich Kopfschmerzen. Meine letzte Mahlzeit war das Frühstück mit Mircea gewesen, und ich wusste gar nicht genau, wie lange das schon zurücklag. Ziemlich lange. Ich begann damit, nach meinen Schuhen Ausschau zu halten.
»Woher soll ich das wissen?«, fragte Begehrenswert ihr Handy. »Die einzige andere Person hier ist eine Saufschwester in billigen Klamotten…«
Ich sah erst an mir herab und dann zu ihr hoch. Sie warf mir einen Kuss zu, entschuldigte sich aber nicht. Ich fand einen Schuh unter Françoises Bett, doch vom anderen fehlte jede Spur. Er war verschwunden wie eine Socke in einem Trockner.
Be Gehrenswert plapperte noch ein bisschen in ihr Handy und klappte es dann zu. »Sie haben die Probe verschoben, ohne mir was davon zu sagen.« Sie beobachtete, wie ich auf dem Boden umherkroch. »Was machst du da?«
»Ich suche meinen anderen Schuh«, sagte ich und hob den, den ich gefunden hatte. Be Gehrenswert quiekte und schnappte sich ihn.
»0 mein Gott. Das ist eine Gladiator-Sandale von Jimmy Choo Atlas!«
»Mhm.« Sal hatte sie für mich ausgesucht. Sie waren ein wenig protzig, aber wenigstens hatten all die Riemen sie an meinen Füßen gehalten. Andernfalls wären meine Fußsohlen sicher nicht unbeschadet davongekommen.
Be Gehrenswert hob die Sandale wie andächtig. Nach den zurückliegenden Abenteuern wirkte die Oberfläche ein wenig mitgenommen, und Dreck klebte am Absatz, der seine Kappe verloren hatte. Be Gehrenswert strich sanft über die Seite. »Oh, du armes, armes Ding.«
Früher einmal war ich ebenfalls an Mode interessiert gewesen, soweit es mein begrenztes Budget gestattete. Aber in letzter Zeit hielt ich es für wichtiger, dass man in Schuhen gut laufen konnte; der Name auf dem Karton spielte eine untergeordnete Rolle. Und ich hatte nie zärtlich mit meinem Schuhwerk gesprochen.
»Es ist nur ein Schuh«, sagte ich ungeduldig.
Be Gehrenswert drückte ihn sich vorsichtig an die gewaltige Brust und sah mich finster an. »Leuten wie dir sollte es nicht gestattet sein, Mode zu besitzen.« Sie legte eine dicke Wade aufs Bett, und ein langer roter Fingernagel zeigte auf den glänzenden roten Plateauschuh. »Siehst du das? Vier Jahr alt und kein einziger Kratzer. Und es ist Konfektionsware!«
»Es war ein harter Tag.«
Be Gehrenswert schüttelte so heftig den Kopf, dass sie fast ihre Perücke verloren hätte. »Das ist keine Entschuldigung. Wir haben’s alle durchgemacht, aber man zieht erst die DesignerSchuhe aus, und dann kotzt man.«
»Ich bin nicht betrunken!«
Sie achtete gar nicht auf mich und fuhr damit fort, den Schuh zu streicheln. »Wie sehr habe ich mir so ein Paar gewünscht…«
Ich sah auf den Fuß und schätzte ihn auf neunundvierzig. »Ich glaube, in Ihrer Größe gibt es sie gar nicht.«
»Oh, ich bitte dich. Für so etwas bin ich bereit zu leiden. Ich würde mir die Füße wie eine Geisha binden, wenn ich mir solche Prachtexemplare leisten könnte…«
»Ich tausche sie gegen ein Paar Turnschuhe und eine ordentliche Mahlzeit«, brummte ich, sah hoch und stellte fest, dass zwei
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