Unwiderstehlich untot
Empfangsraum. Zwei oder drei Sekunden starrte ich nur. Im Gegensatz zu meinem alten Quartier, das sich in jedem Hotel am Strip hätte befinden können, war dies einem Motiv gewidmet. Erneut musste der Wilde Westen herhalten, oder das, was sich der Innenarchitekt darunter vorgestellt hatte. Der doppelreihige Kronleuchter bestand aus Geweihen, Ölgemälde von Cowboys hingen an roten Tapeten, eine Kuhhaut lag schwarz und weiß auf dem Boden, und auf dem nahen Holztisch stand eine Bronzestatue, die einen Reiter auf einem sich aufbäumenden Pferd zeigte.
Casanova bemerkte meinen Gesichtsausdruck. »Die Konsulin hat die blaue Suite gewählt«, sagte er steif. »Na so was.«
Ein vertrockneter alte Vampir humpelte auf uns zu und wirkte unglücklich. »Was hat das alles zu bedeuten?«, fragte er mit zittriger Stimme.
Die meisten Menschen hätten einen Blick auf die fleckigen Hände und wilden weißen Haarbüschel geworfen und den Greis auf etwa hundert geschätzt. Und damit hätten sie um vierhundert Jahre daneben gelegen. Er trug einen Kneifer auf der langen Nase, was aber nichts daran änderte, dass er fast so blind wie eine Fledermaus war, und außerdem auch noch taub. Aber Horatiu war damals Mirceas Lehrer gewesen und die einzige mir bekannte Person, die den Boss rüffelte.
»Der Herr muss ausruhen!«, sagte Horatiu und beäugte die durch die Tür drängenden Wächter. »Hinaus, ihr alle!«
Als sie nicht auf ihn hörten, humpelte er zu einem von ihnen und versuchte, ihn durch die Tür nach draußen zu schieben, womit er ebenso viel Erfolg hatte wie eine Fliege, die versuchte, einen Felsen zu bewegen. Doch davon schien Horatiu nichts zu bemerken. Der Wächter setzte sich nicht zur Wehr, stand einfach nur da und nahm mit stummer Leidensmiene die trommelnden Fäuste des Alten hin.
»Es tut mir leid«, wandte sich Casanova leise an Mircea. »Ich habe dieser Suite Personal zugewiesen, aber Horatiu traf mit den Flüchtlingen von MAGIE ein, und…«
»Werfen Sie die Leute raus.«
Casanova nickte. »Er meinte, sie seien nicht vertrauenswürdig. Ich habe versuchte, ihn zu beruhigen, aber…«
»Schon gut«, murmelte Mircea.
»Raus, habe ich gesagt. Seid ihr taub?« Horatiu ließ die Fäuste sinken und trat stattdessen. »Wie werden sie bloß so groß?«, hörte ich ihn brummen.
Sal seufzte und zündete sich eine weitere Zigarette an. »Die Wächter sind zum Schutz des Meisters hier.«
»Und wozu, glaubst du, bin ich wohl hier, junge Dame?«
Alphonse öffnete den Mund, aber Mircea warf ihm einen Blick zu, und daraufhin schwieg er. »Horatiu ist bestimmt in der Lage, für mein Wohlergehen zu sorgen«, sagte Mircea sanft.
»Ich hole die Wächter später heimlich herein«, flüsterte Casanova, und Mircea nickte.
Der große Vampir, den Horatiu erst mit den Fäusten bearbeitet und dann getreten hatte, wich widerstrebend zurück. Immer wieder bekam er einen Stoß vom Alten, der erst zufrieden war, als sie im Flur den Lift erreichten – der sich öffnete und drei weitere Leibwächter in den bereits gut gefüllten Korridor entließ. Horatiu fluchte hingebungsvoll auf Rumänisch, während wir anderen Casanova in ein großes Wohnzimmer folgten. Marco und die beiden Leibwächter, die Mircea mitgebracht hatte, gingen mit langen Schritten durchs Apartment und suchten nach Eindringlingen. Ich fragte mich, wie sie welche finden wollten. Im Eingangsraum hatte der offenbar verrückte Innenarchitekt seinen kreativen Motor nur warmlaufen lassen und anschließend in den übrigen Zimmern Vollgas gegeben.
An jeder Wand hingen Köpfe, von Hirschen und Longhorn-Rindern bis hin zu Büffeln und Rentieren. Hinzu kamen zwei Totenschädel neben dem großen Flachbildfernseher über dem geradezu riesigen Kamin. Ein Grizzly-Läufer nahm den Ehrenplatz vor zwei Kuhleder-Sofas ein, die an einem lackierten HornTisch standen, über dem ein weiterer Horn-Leuchter hing. Ein Neon-Kaktus beleuchtete eine auf alt getrimmte Bar in der Ecke, mit Barhockern wie Sättel. Die ganze Angelegenheit brachte es fertig, sowohl sehr teuer als auch überaus kitschig auszusehen.
Mircea zögerte kurz auf der obersten Stufe, bevor er hinabstieg in den Morast aus Kitsch. Er wirkte halb betäubt. »So sah’s hier aus, als ich den Laden übernahm«, verteidigte sich Casanova. »Ich habe natürlich vor, alles neu zu dekorieren.«
»Ich weiß nicht.« Sal sank auf Kuhleder und drückte ihre Zigarette in einem Aschenbecher aus, der wie ein Spucknapf aussah. »Es hat
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