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Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)

Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)

Titel: Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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andere Position mehr für ihn gibt – Vorstandsmitglied. Einfache Mitglieder gibt es kaum. Ungarn beginnt, sich zu einem einzigen Zirkel zu entwickeln, in dem jeder Mann, der eine lange Hose trägt, Vorsitzender, Vize oder Staatssekretär ist. Billiger gibt es keiner.
    Ich bereite die Neuausgabe der Jungen Rebellen für den Druck vor. Bin vom unausgeglichenen Sprachstil des Romans betroffen. Es gibt fehlerlose Seiten; und dann wieder folgen Passagen in schwachem Ungarisch, voller Germanismen, Gallizismen und Journalismen. Ich muss schließlich ganze Kapitel umschreiben; es gibt Seiten, wo kein Stein auf dem anderen bleibt. Sicher ist andererseits auch, dass ich dieses Buch heute nicht mehr schreiben könnte. Dazu musste ich dreißig sein. Es steckt etwas Einmaliges, Urtümliches in ihm, das man nicht wiederholen kann.
    Ich warte eine, anderthalb Stunden am Donauufer im Regen, bis ich in einem Boot Platz finde und von Pest nach Buda gelange. Die Lage wird jetzt von Woche zu Woche schlimmer. Je näher wir – ohne Fenster, ohne Brennholz, ohne Fett, ohne Zucker, ohne Verkehr – dem Winter kommen, desto anstrengender werden die Lebensaufgaben des Alltags.
    Die Antwort darauf ist stets: »Letztes Jahr, als die Bomben niederprasselten und die Pfeilkreuzler mordeten, war es schlimmer.« Das stimmt allerdings. Doch jedes Elend ist in sich selbst vollkommen. Jetzt gibt es andere Gefahren und Plagen; sie sind nicht so laut, nicht so dramatisch, aber ebenso gefährlich und qualvoll.
    Seit drei Wochen habe ich keine Zeile mehr ins Tagebuch geschrieben. Ich kam auch nicht zum Lesen. Was hab ich gemacht? Für Gold, Dollars war ich bemüht, Handwerkern, die diese Zweizimmerwohnung so einigermaßen in Ordnung gebracht haben, irgendwelche Dienste abzuringen. Alles muss vielfach überbezahlt werden, auch in Gold; wir geben unsere letzten kleinen Schmuckreserven für diesen Versuch; und wie hoffnungslos alles ist! Nein, ich will nicht hierbleiben.
    Inzwischen werde ich von der Nation neckisch in den Hintern getreten. Ich lese zum Beispiel in der Nachmittagsausgabe der Sozialistenzeitung , dass die Nationalversammlung zehn geladene Mitglieder wählt – Schriftsteller, Künstler –, und die Sozialdemokraten schlagen mich vor. Tags darauf verwirft die interparteiliche Kommission – wer sind die? – diese Empfehlung und wählt nicht mich, sondern den armen Tamási. Gott sei Dank … Das ist eine kräftige Ohrfeige, gleichzeitig aber auch ein großes Glück. Denn entweder ist jemand »würdig«, in die Nationalversammlung eingeladen zu werden, oder nicht; aber wenn man den Namen schon im Voraus bekannt gegeben hat, ist es die Pflicht der Partei, darauf zu bestehen, damit nicht aus der Auszeichnung eine Herabsetzung wird. Mit dieser Gesellschaft habe ich keinen bindenden Vertrag mehr.
    Und es fällt keinem ein, mich vorher zu fragen: ob ich mit so einem Wahlvorschlag einverstanden bin, ob ich diese verdächtige Ehre auf mich nehmen will. Alles ist willkürlich, respektlos, marktschreierisch, verantwortungslos.
    R. wird unter irgendeinem Vorwand von der GPU mitgenommen. Wahrscheinlich wurde er angezeigt, ein »Freund der Briten« zu sein. Letztes Jahr um diese Zeit haben ihn die Gestapo und Péter Hein mitgenommen. In Wirklichkeit ist er so wenig ein »Freund der Briten« wie ich; er sieht in den Russen neben all den Problemen, die sie verursachen, und den Fehlern, die sie machen, wie ich seine Retter; nun führen sie ihn aber gerade ab, weil ihn irgendjemand angezeigt hat, ebenso wie voriges Jahr die Pfeilkreuzler.
    Ich laufe in R.s Angelegenheit herum; aber zur GPU gibt es keinen Weg; nur Marschall Woroschilow könnte etwas tun, aber auch zum Marschall gibt es keinen Zugang. Durch die Stadt fegt ein Herbststurm, Staub und Müll wirbeln durch die Luft; die Inflation tobt, aus vollem Hals plärrt sie Irrsinnszahlen; wir sind bereits bei den Hunderttausendern und Millionen; Bücher, Kunst, eine gehobenere Unterhaltung, alles unbekannte Phänomene. Vor einem Jahr haben die Bomben und die Mörderhorden getötet; jetzt ein schemenhaftes, zähes Elend, es ist jedoch nicht weniger gefährlich, auch daran kann man sterben.
    Lange schenke ich diesem Chaos keine Kraft und Aufmerksamkeit mehr. Der Tag ist nah, an dem ich mit allem breche und mich wieder ganz meiner Arbeit zuwende.
    Nach dem mehrwöchigen Kampf gegen Windmühlen in der Hauptstadt kehre ich in beißendem, nach Raureif duftendem Sonnenschein heim nach Leányfalu. Voriges Jahr um

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