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Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)

Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)

Titel: Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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darin, wie sie dieses Aufbegehren, dieses Anderssein und diesen Widerstand in mir immer und überall bremste. Dafür kann ich nicht nur sie verantwortlich machen; warum war ich nicht stärker, um jeden Preis? Warum war ich nicht rücksichtslos stärker, als davon die Rede war, mein Aufbegehren und meinen Widerstand nicht aufzugeben und diesbezüglich mit niemandem, in keiner Frage, Kompromisse zu schließen? Das ist meine Verantwortung. Aber ich kann mir vorstellen, dass mein Leben und meine Arbeit vollkommener und ehrlicher wären, wenn ich auf jemanden getroffen wäre, der kein »Diplomat« ist. Ich hätte vielleicht gefährlicher gelebt, vielleicht tragischer … doch die Gefahren und die Tragödie sind auch so eingetroffen. Und die Kompromisse haben nichts gebracht.
    Am Abend kommt eine Dame aus Visegrád. Sie erzählt, dass während der Belagerung von Buda in dem Keller, wo sie zu siebzig dahinvegetierten, eine Pfeilkreuzlerin eine alte Französischlehrerin anzeigte, die mit falschen Papieren zwei Juden versteckt hielt. In der Nacht sind dann Pfeilkreuzler erschienen, die die alte Dame und die zwei Flüchtlinge »aussonderten« und alle drei auf der Straße, vor dem Haustor, erschossen. Die Denunziantin hatte die Nacht davor meiner Bekannten erzählt, sie wüsste von diesen Juden und würde ihr Versteck den Pfeilkreuzlern melden … Diese Frau wird einige Tage später festgenomment; die GPU verhört auch meine Bekannte, in Anwesenheit der Beschuldigten wird sie gefragt, ob sie von den Taten der Frau etwas wüsste? Die Zeugin verfügt nicht über die Seelenstärke, gegen die Beschuldigte auszusagen; sie entgegnet, sie wüsste nichts; »sie überlässt Gott die Rache«, weil »das Böse der Strafe ohnehin nicht entgeht«, und sie könnte es nicht »mit ihrem Gewissen vereinbaren, wenn wegen ihrer Aussage ein Mensch, auch wenn er schuldig ist, getötet wird«, und so weiter. Mit derlei religiösen Argumenten beruhigt sie ihr Gewissen; vom weiteren Schicksal der Beschuldigten erfährt sie nichts.
    Wo ich auch hinfasse, wo ich auch hinhöre, überall die gleichen Zweifel – hie und da gutgläubige, wie jetzt auch, hie und da nichts anderes als augenrollende Komplizenschaft, anderswo Trägheit, Faulheit, Feigheit. Mich lässt diese Frage jedoch nicht ruhen. Das Verbrechen ist geschehen. In Europa wurden Millionen von Menschen ermordet, bei Massenmorden unvorstellbaren Ausmaßes kamen Millionen Unschuldiger um. Und jetzt ist diese Gesellschaft, die gestern noch lamentierte und entsetzt war, auf einmal geneigt, zu »verzeihen und zu vergessen«. Auf einmal entdecken alle, dass sie »Christen« sind. Auch ich bin Christ. Auch ich hasse jedwede grundlose und verallgemeinernde Anschuldigung, alles, was ungerecht ist. Doch gerade deshalb, weil ich ein gläubiger Mensch bin, weiß ich auch: Gott hat den Menschen nicht dazu ermächtigt, die Sünde, ohne mit der Wimper zu zucken und in fauler Komplizenschaft, zu sehen und zu dulden. Gott hat den Menschen geschaffen, damit er für Sicherheit kämpft, für die Gerechtigkeit, die Gesundheit, den Frieden, auch dann, wenn dieser Kampf hoffnungslos ist. Er ist nicht immer und nicht unbedingt hoffnungslos … Das Böse in der Welt kann nicht getilgt werden, doch das gibt uns nicht das Recht, uns nicht einmal dagegen zu wehren. Keinerlei »christlicher Geist der Vergebung« ist gerechtfertigt, wenn wir dem Raubwild gegenüberstehen, das wie eine Seuche durch seine Schandtaten eine Massenvernichtung über die Menschheit bringt. Der Mensch muss nach Gottes Gebot auf Erden kämpfen und sich verteidigen, auch gegen die Natur, die nicht nur erschafft, sondern auch zerstört, und würde der Mensch kein Haus und kein Dach für sich und seine Familie errichten, würde er nicht Mutter Erde dies und das abringen, würde er nicht gegen Insekten, Tiere, die Elemente kämpfen, so ginge er zugrunde. Wenn der Mensch aber kämpft, arbeitet, ein Haus baut, sät und erntet, sich schützt, Heilmittel gegen Krankheiten erfindet … schützt er sich doch, relativ und unvollkommen zwar, vor den zerstörerischen Kräften der Natur, weil dies seine Pflicht ist. Und es ist genauso seine Pflicht, ja eine von Gott auferlegte Pflicht, gegen die zerstörerische Sünde und gegen das Böse zu kämpfen, auch wenn es keine Elemente oder Bakterien oder wilden Tiere sind, sondern sich in der Gestalt von menschlichen Wesen offenbart. Das ist jetzt geschehen … Auch unter den Menschen ist es Pflicht, sich durch

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