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Urangst

Urangst

Titel: Urangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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reiner und giftiger werden sie, bis sie sich zu einem konzentrierten Elixier verdichten, das stärker ist als jeder Trank, den ein Zauberer zusammenbrauen könnte.
    Sie sitzt neben dem Schreibtisch, sieht ihre Tochter finster an und wird ihr, obwohl der über lange Jahre destillierte Hass todbringend ist, selbst jetzt noch keinen mörderischen Schlag versetzen. Sie wird die kommende Nacht und den darauffolgenden Tag verstreichen lassen, bis sie – sehr bald schon – all die Tode haben kann, die sie sich am meisten wünscht.
    »Ich habe diesen Kartoffelsalat nur für dich gekauft, Piggy.«
    Die Klingen aus Licht, die durch die Ritzen in den sturmfesten Fensterläden dringen, sind jetzt nicht mehr klar oder golden; sie haben einen düsteren Orangeton angenommen. Die geschliffene Glasvase hat sich dunkel verfärbt. Das glitzernde Nordlicht an der Decke über Piggys Kopf ist verschwunden.
    Schmale Speere orangefarbenen Sonnenlichts berühren nur noch das Holz der Möbel, hier ein Zierkissen, dort ein Ölgemälde – ein Seestück.
    Und doch funkeln durch einen seltsamen Mechanismus unscharf umrissener Spiegelung winzige bunte Lichter in den unwahrscheinlichsten Winkeln des schattigen Zimmers: in den Glasperlen des Lampenschirms hinter dem Bett des Kindes, in dem gläsernen Türgriff eines fernen Kleiderschranks …
    »Piggy?«

    »Okay.«
    »Der Kartoffelsalat.«
    »Okay.«
    »Ich warte.«
    »Ich habe zwei Kekse gegessen.«
    »Kekse sind nicht genug.«
    »Und ein Sandwich.«
    »Warum tust du mir das an?«
    Piggy antwortet nicht.
    »Du bist ziemlich undankbar.«
    »Ich bin pappsatt.«
    »Weißt du, was Undank ist?«
    »Nein.«
    »Du weißt nicht gerade viel, stimmt’s?«
    Piggy schüttelt den Kopf.
    »Iss den Kartoffelsalat.«
    »Okay.«
    »Wann?«
    »Später«, sagt Piggy.
    »Nein. Jetzt.«
    »Okay.«
    »Sag nicht einfach okay. Tu es.«
    Das Kind sagt kein Wort und greift auch nicht nach dem Kartoffelsalat.
    Die Diamanten an ihrem Hals und ihrem Handgelenk sind trotz des Lichts der Schreibtischlampe dunkel, als Moongirl sich von ihrem Stuhl erhebt, den Kartoffelsalat packt und ihn durchs Zimmer wirft.
    Der Behälter knallt gegen die Wand und springt auf; mit Spucke gewürzter Kartoffelsalat spritzt auf den Verputz und prasselt auf den Fußboden.
    Funkelnde Tränen brennen in Piggys Augen und ihre nassen Wangen schimmern.

    »Räum den Dreck weg.«
    »Okay.«
    Moongirl nimmt die Körperteile der verstümmelten Puppe vom Schreibtisch und wirft sie mit Wucht ebenfalls quer durchs Zimmer. Sie schnappt sich die offene Packung Kekse und wirft auch sie an die Wand.
    »Räum den Dreck weg.«
    »Okay.«
    »Ich will keinen Schmutzfleck und keinen Krümel mehr sehen.«
    »Okay.«
    »Und spar dir die Tränen, du kleine Schwindlerin mit der fetten Fratze.«
    Moongirl wendet sich ab und ihre Diamanten verdunkeln sich noch mehr, als sie mit zielstrebigen Schritten das Zimmer verlässt. Zweifellos wird sie es sich jetzt mit ihrer Sammlung von reinigenden und besänftigenden Lotionen für Gesicht und Körper gemütlich machen und sich einer verträumten zweistündigen Prozedur unterziehen, der es nur selten misslingt, ihre Stimmung aufzuhellen.
    Harrow thront weiterhin auf der Lehne des Polstersessels und beobachtet das Kind. So einfältig, wie sie ist, von so schlichtem Gemüt und so unscheinbar und langsam, hat sie doch etwas Geheimnisvolles an sich, das ihn fasziniert und das in gewisser Weise tiefgründiger zu sein scheint als der Wahnsinn ihrer Mutter.
    Piggy bleibt eine Minute lang regungslos sitzen.
    Als seien ihre Tränen so hochprozentig wie medizinischer Alkohol, verdunsten sie rasch auf ihren Wangen. Bemerkenswert kurz danach sind auch ihre Augen trocken.
    Sie öffnet die zweite kleine Packung Kartoffelchips und isst einen. Dann noch einen. Dann einen dritten. Langsam isst sie die Packung leer.

    Nachdem sie sich die Finger an einer Papierserviette abgewischt hat, schiebt sie das Tablett zur Seite und hebt die Puppe auf, mit der sie beschäftigt war, als ihre Mutter und Harrow das Zimmer betreten haben. Sie hält die Puppe einfach nur in der Hand, ohne etwas anderes mit ihr zu tun, als ihr ins Gesicht zu sehen.
    Ihm geht der seltsame Gedanke durch den Kopf, Piggy, die schlichte, einfältige Piggy, könnte der einzige Mensch sein, dem er jemals begegnet ist, der nur das und genau das ist, was er zu sein scheint. Möglicherweise erscheint sie ihm gerade deshalb geheimnisvoll.
    Und hier ist er wieder, gänzlich unerwartet:

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