Urbat: Gefährliche Gnade (German Edition)
die Hand und wollte mit den Fingern über seine speerspitzenförmige, von Blasen überzogene Wunde streichen. »Bist du sicher?«
Ich schlug Ryans Hand von seinem Gesicht weg. »Fass sie nicht an. Du willst doch keine Narben, oder? Brent ist nur … Brent, eben.«
»Kannst du nicht deine heilende Magie anwenden?«, fragte mich Ryan und warf Brent einen Blick zu. »Es brennt wie ein verfluchter…«
»Pass auf, was du sagst«, fauchte ich. »Wir sind hier in einer Kirche.« Oje, ich klang viel zu sehr nach meiner Mutter. Zum Glück hatten sie, April und meine kleinen Geschwister zu Hause bleiben können. »Deine Verletzung ist durch Silber verursacht worden. Da kann ich nicht viel tun.«
»Na siehst du, ich hatte recht«, sagte Zach zu Ryan. »Deshalb ist auch nichts passiert, als du versucht hast, dich selbst zu heilen.«
»Kratz sie auf«, sagte Brent, mit ein wenig zu viel Schadenfreude in seinem sarkastischen Tonfall. »Gäbe bestimmt ’ne coole Narbe.«
Ich verdrehte die Augen.
»Hey, du Missgeburt!«, rief jemand in unsere Richtung. Ich blickte auf und sah die junge Frau in der grünen Robe auf Daniel und mich zustürzen. Kurz bevor sie mit Daniel zusammenprallte, blieb sie stehen und schlug ihm spielerisch auf den Arm.
Daniel stöhnte. Sie hatte exakt seine immer noch nicht verheilte Schusswunde getroffen. Aber Daniels Stöhnen verwandelte sich sofort in ein Lächeln. »Jordan!«, rief er.
Sie lachte und sprang auf ihn zu. Er fing sie auf, umarmte sie kurz und setzte sie wieder herunter.
Meine Augenrauen schnellten hoch. Daniel kannte sie also?
Er sah mich an und deutete auf die junge Frau. »Grace, das ist Lisa Jordan. Wir haben uns kennengelernt, als ich mich letztes Jahr kurz beim Rudel aufgehalten habe.«
»Die Göttliche!«, heulte sie geradezu, fasste meine Hand und schüttelte sie kräftig. »Ich muss zugeben, ich hätte gedacht, du wärst größer oder so.« Sie zuckte mit den Schultern. »Aber egal. Vielen Dank, dass du mein Ohr gerettet hast. Wirklich toll, ich glaube, dass sogar mein Supergehör noch etwas besser geworden ist.« Als sie auf ihr Ohr zeigte, fiel mir auf, dass die tropfenförmigen Ohrringe aus Mondsteinen gefertigt waren.
»Gern geschehen«, erwiderte ich.
Lisa drückte noch mal meine Hand und ließ dann los. Sie legte ihren Arm um Daniels Taille und schüttelte ihn ein wenig durch. »Ich hab dich vermisst, du Missgeburt. Aber jetzt sehe ich, warum du unbedingt zurückwolltest. Sie ist fast so hübsch wie ich.«
Ich konnte nicht anders und musste Lisa Jordan anstarren. Sie war nicht nur der einzige weibliche Urbat, der mir je begegnet war, sonders auch eine hinreißende Frau. Ihr Haar hatte die Farbe von kandierten Walnüssen und ihre Augen waren klar und blau wie ein Bergsee. Wohlgeformte Arme und ein schlanker Körper ließen sie wie eine Langstreckenläuferin aussehen. Sie musste Anfang zwanzig sein und ich fragte mich wie gut sie und Daniel sich eigentlich kennengelernt hatten.
So, als hätte sie meine Gedanken lesen können, lächelte sie mich an. »Mach dir keine Sorgen«, sagte sie und beugte sich zu mir, während sie Daniel weiter festhielt. »Daniel ist viel zu jung für mich.«
Ich kniff die Augen zusammen.
»Ich hab schon 1985 meinen 21. Geburtstag gefeiert«, sagte sie. Viel älter sah sie tatsächlich nicht aus. »Ich steh nicht auf Teenager. Das wär’ ja echt gruselig.«
»Oh«, erwiderte ich und musste lachen.
Die meisten Anwesenden im Gemeindesaal sahen aus wie Mitte zwanzig. Ein paar wenige jedoch hatten Augen, die verrieten, dass sie schon wesentlich älter waren.
Lisa lehnte sich an Daniel und holte tief Luft, so als würde sie seinen Geruch einsaugen. »Wow, ich muss wirklich sagen, jetzt wo er seine wahre Alpha-Natur entdeckt hat, ist er sogar noch reizvoller. Es gibt nichts, was mein Blut mehr in Wallung bringt, als der Geruch der Macht.« Sie lächelte Daniel an. »Ich wusste, dass es in dir steckt. Und es steht dir wirklich sehr gut.«
Daniel wurde rot. Knallrot.
»Und weißt du was?« Sie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern, was angesichts einer Horde von Urbats mit Supergehör ziemlich unsinnig war – aber egal. »Es war verdammt cool, wie du zwei von Sirhans Männern dazu gebracht hast, dass sie sich vor dir verbeugen. Mann, ich bin erstaunt, dass dir Sirhan deswegen nicht an Ort und Stelle den Kopf abgeschlagen hat. Trotz dieser ganzen Heilungsnummer.«
»Was ist eigentlich mit Sirhan?«, fragte ich. »Wieso sieht er so komisch
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